Weisser Oleander
ertappte. Ich hörte ihn durch den Flur gehen.
Ich spähte durch die Zimmertür, sie lag wieder auf der Couch. Sie zog sich die Mohairdecke über den Kopf. Ich hörte sie stöhnen.
Ich schloss die Tür und setzte mich hilflos auf mein Bett. Es war wieder genau wie bei meiner Mutter. Warum taten sie mir das an? Ich hatte beinahe zwei Jahre auf Claire aufgepasst. Ich war diejenige, der sie alles erzählte. Ich war diejenige, die sich sorgte, sich all ihren Ritualen unterwarf, die ihre Ängste beruhigte, während er unterwegs war und Poltergeister und Marienerscheinungen jagte. Wie konnte er mich jetzt fortschicken? Ich öffnete die Tür, entschlossen, mit ihm zu sprechen, ihm zu sagen, dass er das nicht machen konnte, als er mit seiner Reisetasche über der Schulter und der Aktentasche in der Hand aus dem Schlafzimmer kam. Seine Augen begegneten meinen, fielen jedoch zu wie Stahltüren, während er an mir vorbei ins Wohnzimmer marschierte.
Ich hätte nicht gedacht, dass Claire noch blasser werden könnte, doch als sie Ron mit den Taschen erblickte, wurde sie kalkweiß. Sie krabbelte von der Couch, die Decke fiel auf den Boden. Ihr Bademantel war völlig verrutscht; ich konnte ihre Unterwäsche sehen. »Geh nicht!« Sie klammerte sich an seinem Cordjackett fest. »Du kannst mich nicht verlassen. Ich liebe dich.«
Er holte tief Luft, und einen Augenblick lang dachte ich, dass er es sich anders überlegen würde, doch dann pressten sich seine Brauen auf die Augen hinunter, und er machte sich aus ihrem Griff frei und wandte sich ab. »Überleg es dir.«
»Ron, bitte.« Sie griff wieder nach ihm, doch sie war zu betrunken, verfehlte ihn und fiel auf die Knie. »Bitte!«
Ich ging zurück in mein Zimmer und legte mich bäuchlings auf mein Bett. Ich konnte es nicht ertragen zu sehen, wie sie ihm in ihrem roten, auseinander klaffenden Weihnachtsbademantel hinterherkroch, nach seinen Beinen griff, bettelte, hinter ihm her durch die Haustür taumelte. Nun konnte ich sie draußen hören; sie heulte, versprach ihm, dass sie sich bessern würde, versprach ihm alles. Seine Autotür schlug zu, der Motor sprang an, und während sie ihn immer noch anflehte, erklang das aufjaulende Geräusch, mit dem der Alfa rückwärts aus der Einfahrt setzte. Ich konnte mir vorstellen, wie Mrs. Kromach neugierig hinter ihren hellblauen Gardinen lauerte und Mr. Levy verwundert unter seiner chassidischen Hutkrempe hervorstarrte.
Claire kam wieder ins Haus und rief nach mir. Ich zog mir das Kissen über den Kopf. Schwächling, dachte ich. Verräterin. Jetzt stand sie vor meiner Zimmertür, doch ich antwortete ihr nicht. Sie würde mich für ihn aufgeben, sie würde alles tun, um ihn wiederzubekommen. Genau wie vorher bei meiner Mutter und Barry. »Bitte, Astrid«, flehte sie mich durch die geschlossene Tür an, doch ich hörte nicht hin. Diese Krankheit würde ich nie bekommen.
Schließlich ging sie in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür. Ich hasste sie dafür, dass sie ihm hinterhergekrochen war, und mich hasste ich für meinen Widerwillen; dafür, dass ich genau nachempfinden konnte, wie Ron sich fühlte. Ich lag da auf meinem Bett, hasste uns alle und hörte ihr Weinen; sie hatte seit einer Woche nichts anderes getan. Siebenundzwanzig Namen für Tränen .
Ich hörte, wie Leonard Cohen wieder einsetzte, diesmal der »Master Song«. Die kreisförmige Wiederholung einer überwältigenden Frage. Am liebsten hätte ich mich hermetisch versiegelt, solange ich noch ein Stückchen von mir besaß, das ich Claire noch nicht gegeben hatte. Ich musste mich zurückziehen, oder ich würde weggerissen wie ein Schal, der in einer Autotür eingeklemmt war.
Wie ich ihre Schwäche hasste! Genau wie meine Mutter es vorhergesagt hatte. Sie stieß mich ab. Ich hätte für sie gekämpft, doch Claire konnte noch nicht einmal für sich selbst geradestehen. Ich konnte uns nicht beide retten. Auf meinem Schreibtisch stand das Foto von mir und der Stahlkopfforelle aus dem letzten Sommer. Ron hatte es rahmen lassen. Ich sah darauf so glücklich aus. Ich hätte mir denken können, dass es nicht von Dauer sein würde. Nichts war von Dauer. Das sollte ich doch inzwischen allmählich wissen. Halte deine Taschen gepackt , hatte meine Mutter gesagt. Und das alles, kurz bevor ich die High School beendet hatte; das College war schon in Sicht.
Aber dann fiel mir wieder ein, wie Claire mich zu Cal Arts, dem California Institute of the Arts, mitgenommen hatte, um festzustellen,
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