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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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klarkam.
    »Jemand hat es mir geschenkt«, sagte ich schließlich zu Rena.
    »Ja und?« Rena schaute von ihren Bügeln hoch. »Du hast Glück, jemand hat geschenkt. Jetzt verkaufen, Geld bekommen.«
    Ich stand da, mürrisch, die Arme immer noch voller T-Shirts.
    »Du willst Auto?«, sagte Rena. »Kunstschule? Du meinst, ich nicht weiß? Wie du willst bezahlen? Deshalb diese Kleid. Schöne Kleid. Jemand hat geschenkt. Aber Geld ist …« Sie hielt inne und rang nach Worten, um zu beschreiben, was Geld war. Schließlich warf sie die Hände in die Luft. » Geld. Du willst erinnern, also erinnere einfach.«
    Also machte ich es. Ich klebte ein Preisschild an meinen karmesinroten Traum aus Samt. Ich setzte ihn hoch an, in der Hoffnung, er würde sich nicht verkaufen. Ich setzte alle Preise hoch an. Doch die Sachen verkauften sich trotzdem. Als die Sonne wärmer wurde, verschwanden die harten Feilscher, und die Paare kamen; schlenderten gemächlich, Hand in Hand, herum; alte Leute auf einem kleinen Spaziergang, junge Leute. Die T-Shirts, die Hosen, die Blazer gingen weg. Doch bis zum Nachmittag war das karmesinrote Kleid immer noch nicht verkauft. Immer wieder fragten die Leute Rena, ob es wirklich hundert Dollar kosten solle.
    »Was sie sagt«, erwiderte Rena mit ihrer tiefen Stimme und tat hilflos.
    »Es ist von Jessica McClintock«, verteidigte ich mich. »Noch nie getragen.« Mein Fehler, weil ich erwartet hatte, dass es eine Zukunft gäbe, dass der Traum einfach immer weiterging.
    Ich konnte mich noch genau erinnern, wie ich ausgesehen hatte, als ich das Kleid zum ersten Mal in dem Laden in Beverly Hills anprobiert hatte. Unschuldig hatte ich ausgesehen, wie die Tochter von jemandem, eine richtige Tochter. Ein Mädchen, für das gesorgt wurde. Ein Mädchen in so einem Kleid war kein Mädchen, dessen Mittagessen aus einem Bier und einer Zigarette bestand, das sich für den Vater auf Teppichreste in einem Neubau legte. Dieses Kleid wusste nicht, wie man seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, wenn es drauf ankam; musste sich nicht über seine Zähne Sorgen machen oder darüber, ob seine Mutter nach Hause kommen würde. Als ich es Claire vorgeführt hatte, musste ich mich für sie herumdrehen wie eine Ballerina auf einer Spieldose; sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und war vor Stolz fast übergeflossen. Sie hatte daran geglaubt, dass ich dieses Mädchen war. Und einen Moment lang hatte ich das auch.
    Den ganzen Tag half ich den Leuten, das Kleid anzuprobieren, zog das Satinfutter über ihre verschwitzten Schultern und zerrte den Reißverschluss so weit hoch wie möglich, ohne es zu zerreißen. Nachdem die fünfte Frau es anprobiert hatte, machte es mir allmählich nicht mehr so viel aus. Gegen drei kam eine Gruppe junger Mädchen vorbei, und eine von ihnen schaute die ganze Zeit das rote Kleid an, hielt es sich vor den Körper. »Kann ich das mal anprobieren?«
    Ich nahm die Plastikumhüllung ab, zog ihr das Kleid über die Arme, über den hellen Haarflaum, zog es an ihrem Körper herunter und schloss den Reißverschluss am Rücken, während sie ihren dunklen Pferdeschwanz hochhielt. Zu ihr passte es genau. Wie es zu mir nie gepasst hatte. Ich hatte das Mädchen vorher noch nie gesehen. Sie ging nicht auf die Marshall High School. Wahrscheinlich ging sie auf die Katholische Mädchenschule oder die Französische Schule. Ein umsorgtes Mädchen, jemandes Tochter. Ich legte es für sie zurück, während sie zum nächsten 7-Eleven-Laden ging, um ihre Mutter anzurufen. Eine Viertelstunde später fuhr eine attraktive ältere Frau in einem hellgelben Mercedes vor, weite schwarze Leinenhosen, Wildledermokassins mit breiten Schnallen. Ich half dem Mädchen noch einmal in das Kleid, und die Frau gab mir die hundert Dollar, einen einzigen knisternden Schein. Sie waren auf die Hochzeit einer Cousine nach New York eingeladen. Dafür war das Kleid genau das Richtige. Am Gesichtsausdruck der Mutter konnte ich erkennen, dass sie genau wusste, wie viel es wert war.
    Wir hielten noch bis fünf die Stellung, dann fingen wir an abzubauen, beluden den Van und Nikis Pick-up. Alle meine Sachen waren verkauft worden. Ich saß auf dem Kotflügel des Van und zählte mein Geld. Ich hatte über vierhundert Dollar eingenommen.
    »Siehst du, gar nicht schlecht«, sagte Rena, während sie einen Pappkarton mit Tellern auf der Hüfte balancierte. »Wie viel du hast bekommen?«
    Ich murmelte die Zahl, verschämt, aber auch ein bisschen stolz.

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