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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Mischa war schwer, er legte mir den Kopf auf die Schulter, sabberte auf meinen Hals. Seine tränenfeuchten blauen Augen so nah, ein schwerer Arm auf mir.
    Ich schlug ihn, doch es hatte gar keinen Zweck; er war viel zu betrunken, meine Faust prallte von seinem Fleisch ab, ohne dass er irgendetwas spürte. »Mischa, geh von mir runter.«
    »Du bist so schöne Mädchen«, sagte er und versuchte mich zu küssen. Er roch nach Wodka und irgendetwas Fettigem; jemand musste eine Portion Hähnchenschenkel geholt haben.
    Mein Messer lag gleich unter meinem Kopfkissen. Ich wollte Mischa nicht verletzen, ich kannte ihn. Ich hatte ihm schon zugehört, wie er Bottleneck-Gitarre spielte. Er hatte einen Hund namens Tschernobyl; er wollte nach Chicago ziehen, um Blues-Gitarrist zu werden, mochte allerdings kein kaltes Wetter. Rena schnitt ihm immer die Haare, den Pony etwas schief. Er war kein schlechter Mann, doch er küsste mich auf die zusammengepressten Lippen, eine Hand fummelte unter der Decke herum, allerdings erfolglos, denn ich war völlig angezogen. Seine Grapschfinger fanden nichts außer glänzendem Polyester.
    »Lieb mich ein bisschen«, flehte er mir ins Ohr. »Lieb mich, dewuschka , denn alle werden wir sterben.«
    Schließlich bekam ich ein Knie frei, und als er sich bewegte, schlug ich ihm mit meinem Zeichenbrett auf den Kopf und schlüpfte aus dem Bett.
    Im Wohnzimmer waren die meisten schon gegangen. Natalia tanzte für sich allein vor der Anlage herum und hielt eine Flasche Stoli vom Bargain Circus umklammert. Georgi hing schlafend im schwarzen Lehnstuhl, den Kopf auf die fusselige Armlehne gelegt, eine weiße Katze hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt. Ein Korbstuhl war umgekippt, ein großer Aschenbecher lag kopfüber auf dem Boden, auf der zerkratzten Lederplatte des Couchtischs glitzerte eine Pfütze.
    Rena und ihr Freund Sergej lagen auf der grünen Samtcouch, und er besorgte es ihr mit den Fingern. Sie hatte noch immer Schuhe und Rock an. Sein Hemd stand offen, auf seiner Brust hing ein Medaillon an einer Kette. Es war mir ziemlich unangenehm, da hereinzuplatzen, aber Mischa war schließlich ihr Freund. Sie sollte sich um ihn kümmern.
    »Rena«, sagte ich. »Mischa versucht mit mir ins Bett zu gehen.«
    Zwei betrunkene Augenpaare starrten mich an, ein schwarzes und ein blaues. Es dauerte einen Moment, bis sie mich fokussiert hatten. Sergej flüsterte ihr etwas auf russisch ins Ohr, und Rena lachte. »Mischa wird machen nix. Schlage ihn auf Kopf mit irgendwas«, sagte sie.
    Sergej beobachtete mich, während er ihren Oberschenkel knetete, ihr in den Nacken biss. Er sah aus wie ein weißer Tiger, der ein Beutetier verschlang.
    Als ich in mein Zimmer zurückkam, war Mischa eingepennt. Er hatte eine blutige Schramme am Kopf, wo ich ihn geschlagen hatte. Er schnarchte und hielt mein Kissen umklammert, als sei ich es. Er würde in absehbarer Zeit nicht aufwachen. Ich legte mich zum Schlafen in Yvonnes leeres Bett. Um fünf ging die Stereoanlage aus, und ich schlief noch ein, zwei Stunden unruhig und träumte von Tieren, die im Müll herumwühlten. Ich wachte auf, als ein Mann im Badezimmer auf der anderen Seite des Flurs pinkelte, ohne die Tür zu schließen, ein Rauschen, das ungefähr fünf Minuten anzudauern schien. Er zog nicht ab. Dann ging die Stereoanlage wieder an, wieder The Who. »Who are you?«, sang die Band. Ich versuchte mich zu erinnern, doch ich hätte es wirklich nicht mehr sagen können.

25

    An einem trüben Samstag saßen wir in der Küche und nähten Ledertäschchen für Kristalle. Das war Renas neueste Idee, Geld zu verdienen. Niki spielte Demobänder der verschiedenen Bands, die Werner managte, doch sie klangen alle gleich: zornige weiße Kids, die ihre dünne Wut herausbrüllten, außer Kontrolle geratene Gitarren. Sie suchte nach einer neuen Band. »Diese hier klingt doch ganz gut, oder? Scheiße!« Sie hatte sich mit der Nadel in den Finger gestochen und steckte ihn nun in ihren schwarz angemalten Mund. »Diese Näherei ist doch echt für ’n Arsch! Wofür hält sie uns eigentlich, für eine Horde Elfen?«
    Wir rauchten Hasch aus dem Glas, während wir arbeiteten. Ich wartete darauf, dass sich der Rauch unter dem kleinen umgedrehten Whiskeyglas sammelte, das Niki aus den Bavarian Gardens gestohlen hatte; der aufgedruckte Johnny Walker stand auf dem Kopf. Ich hielt meinen Mund an den Rand des Glases, kippte es an und saugte den dicken Haschqualm in meine Lungen. Yvonne rauchte

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