Weisser Oleander
nicht; sie meinte, es sei schlecht für das Baby.
»Was macht das schon für einen Unterschied?«, sagte Niki, während sie ein Stück Hasch für sich auf die Stecknadel pikte. »Du wirst es doch sowieso nicht behalten.«
Yvonnes Mundwinkel verzogen sich nach unten. »Wenn du so denkst, dann brauchst du mich gar nicht mehr zur Geburtsvorbereitung zu begleiten«, sagte sie. »Astrid wird mich hinbringen.«
Ich fing an zu husten. Ich versuchte Butterfly McQueen aus der Geburtsszene in »Vom Winde verweht« nachzumachen. »Ich weiß nicht, was tun, wenn kommen Baby«, quiekte ich, doch ich bekam meine Stimme nicht hoch genug. Ich musste an Michael denken; er konnte Butterfly immer besser nachmachen als ich. Er fehlte mir.
»Du hast wenigstens keine schlechten Gedanken im Kopf«, sagte Yvonne.
Geburt. Ich schauderte. »Ich bin noch nicht mal achtzehn.«
»Das ist okay, sie schenken da keinen Alkohol aus«, sagte Niki und schmiss ein fertiges Täschchen auf den Haufen. Dann nahm sie ein neues Stück Leder, schon zugeschnitten und bereit zum Zusammennähen.
Bekifft schnitt ich mit dem Papiermesser eine aufsteigende Rauchsäule in einen Lederrest. Das konnte ich gut, sogar noch besser als meine Mutter früher. Ich konnte eine Krähe schneiden, eine Katze. Die Katze bekam ich in drei Schnitten hin. Ich schnitt ein Baby mit einer Locke auf der Stirn aus und warf es Yvonne zu.
Die Tür hinter uns flog auf und ließ einen Stoß kalter Luft herein. Rena kam mit einer Rolle dunkelgrünem Wildleder unter dem Arm ins Zimmer. »Georgi hat ganze Rolle verkauft, in Tausch gegen Lampe«, grinste sie stolz. »Gut, häh?« Dann fiel ihr Blick auf mich, und sie sah, wie ich Muster in das Leder schnitt. »Was, bist du verrückt?« Sie riss mir das Rehleder weg und gab mir eine Kopfnuss. »Kifftante, dumme Kuh. Du glaubst, ist billig, was?« Dann bemerkte sie das Muster, runzelte die Stirn und schob die Unterlippe vor. Sie hielt das Stück Leder ins Licht. »Nicht schlecht.« Sie warf es mir wieder zu. »Ich glaube, wir verkaufen. Mach alle Taschen. Wir werden machen Geld damit.«
Ich nickte. Ich verschleuderte alles, was ich verdiente, für Malzubehör, Lebensmittel und Dope, das ich mir mit Niki zusammen reinzog. Das College war längst außer Sicht geraten, verschwunden wie ein Schiff im Nebel. Bei Claire hatte ich angefangen, mein Leben als eine Folge von Kandinsky-Bleistiftskizzen zu betrachten; die einzelnen Episoden für sich allein bedeutungslos, doch zusammengenommen würden sie eine elegante Komposition bilden. Ich hatte sogar geglaubt, die Umrisse der Zukunft in ihnen zu erblicken. Doch inzwischen hatte ich zu viele Teile verloren. Sie waren zu einer Hand voll Kiefernnadeln auf dem Waldboden geworden, unlesbar.
Sergej trat ein, eine Tüte in der Hand, die Wangen leuchteten rosa in seinem gut aussehenden, breiten, unkalifornischen Gesicht. Er packte zwei Flaschen Wodka aus, legte eine ins Gefrierfach, stellte die andere auf die Theke und nahm zwei grüne Gläser aus dem Schrank. Er schnüffelte in die Luft. »Mmmh – Essen!«
»So – wer dich eingeladen?«, fragte Rena, setzte sich auf die Theke und schraubte die Wodkaflasche auf. Sie füllte drei Fingerhoch in jedes Glas.
»Oh, diese Mädchen nicht lassen hungern Sergej«, sagte er. Er klappte die Backofentür auf und musterte das blubbernde Gericht, das ich für Yvonne kochte, einen Brokkoli-Käse-Auflauf, um sie für das Baby aufzubauen. Sie war völlig perplex gewesen, als sie gesehen hatte, wie ich die Zutaten vorbereitete; ihr war bisher nicht klar gewesen, dass man auch ohne eine Fertigpackung mit aufgedruckter Anleitung kochen konnte. Sergej badete sein Gesicht im Duft und der Hitze des Ofens.
Ich schnitt einen Tiger in ein Lederstück und ermahnte mich, dass Sergej auch bloß Rena mit einer besseren Fassade war. Gut aussehend wie ein Kosake, ein milchiger, blonder Slawe mit schläfrigen blauen Augen, denen keine Bewegung entging. Von Beruf Dieb. Rena verkloppte ab und zu Waren für ihn, eine LKW -Ladung Ledersofas, Kleiderständer mit Damenmänteln, eine Lieferung ausgestopfer Tiere aus Singapur, Haushaltsgeräte aus Israel. In der Ripple Street konnte sich keiner seiner sexuellen Präsenz entziehen. Er ließ die Badezimmertür offen stehen, während er sich nackt rasierte, machte jeden Morgen hundert Liegestütze; dabei sah man die blauen Adern auf seiner milchigweißen Haut. Wenn er merkte, dass wir ihn beobachteten, klatschte er obendrein bei jedem
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