Weisser Oleander
erschreckten Bögen ihrer Augenbrauen spiegelte.
»Es ist immer noch da«, sagte ich und legte ihr meine Hand auf die Wange. Ich wusste, dass sie sich auf ihrer heißen Haut kühl anfühlen würde. Meine Mutter hat das immer gemacht, wenn ich krank war, erinnerte ich mich plötzlich, und einen Moment lang konnte ich die Berührung ihrer kühlen Hände deutlich spüren.
Yvonne hob den Kopf, um nachzusehen, ob sich das Pferd noch im Mondlicht aufbäumte, dann legte sie sich auf das Kissen zurück. »Ich wünschte, es wäre endlich vorbei.«
Ich wusste genau, was Rena ihr erwidern würde. Je eher desto besser . Vor ein paar Monaten hätte ich sogar noch einen draufgesetzt. Ich hätte mir gedacht, dass es überhaupt keinen Unterschied machte, ob sie das Baby schnell bekam oder nicht. Wenn sie erst das Baby geboren hätte und es dann weggab, würde es bald wieder Neues zu verlieren geben: einen Freund, ein Zuhause, eine Arbeit, Krankheiten, weitere Babys; Tage und Nächte, die in einem Ozean übereinander rollten, der sich immer gleich blieb. Was brachte es also, das Unglück zu beschleunigen?
Doch inzwischen hatte ich gesehen, wie sie im Schneidersitz auf dem Bett saß und mit ihrem Bauch flüsterte; ihm erzählte, wie großartig es auf der Welt sein würde, dass es Pferde und Geburtstage gab, weiße Katzen und Eiscreme. Selbst wenn Yvonne nicht beim Rollschuhlaufen dabei sein oder den ersten Schultag miterleben würde, musste es doch irgendetwas wert sein. Sie hatte es jetzt, dieses süße Gefühl, diesen Traum. »Ja, und wenn es dann so weit ist, wirst du denken, dass es viel zu früh kommt!«
Yvonne hielt meine Hand an ihre heiße Stirn. »Du bist immer kühl. Du schwitzt überhaupt nie. Oh, das Baby bewegt sich«, flüsterte sie. »Willst du es mal fühlen?«
Sie schob ihr T-Shirt hoch, und ich legte meine Hand auf ihren nackten Bauch, so rund und warm wie ein aufgehender Hefeteig, und spürte mit meiner Handfläche die seltsamen Bewegungen des Babys. Sie lächelte schief, hin- und hergerissen zwischen Freude und Angst vor dem, was auf sie zukam.
»Ich glaube, es wird ein Mädchen«, flüsterte sie. »Das andere war auch ein Mädchen.«
Sie sprach über ihre Babys nur spät abends, wenn wir allein waren. Rena wollte nicht, dass sie darüber sprach; sie hatte ihr geraten, gar nicht an sie zu denken. Doch Yvonne musste mit irgendjemandem reden. Der Vater von diesem Baby, Ezechiel, fuhr einen Pick-up. Sie hatten sich im Griffith Park kennen gelernt, und sie hatte sich in ihn verliebt, als er mit ihr zusammen Karussell gefahren war.
Ich versuchte, mir etwas Tröstliches einfallen zu lassen. »Sie hat einen festen Tritt. Vielleicht wird sie mal eine Ballerina, ese .«
Die einfache Melodie der E-Gitarre prallte von den Hügeln ab und sprang durch das Fenster herein, und der Hügel auf Yvonnes Bauch tanzte im Takt zu den Stößen winziger Hände und Füße.
»Ich möchte, dass sie zu den Girl Scouts geht. Du gehst zu den Girl Scouts, mija «, sagte sie zu dem Hügel. Dann sah sie mich wieder an. »Bist du dabei gewesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich wollte es immer unheimlich gern«, sagte sie, während sie mit dem Finger Achten auf das feuchte Laken malte. »Doch ich konnte unmöglich fragen. Meine Mom hätte sich halbtot gelacht. ›Dein fetter Hintern bei den blöden Girl Scouts?‹«
Wir saßen ziemlich lange da und sagten nichts. Hofften, dass ihre Tochter es einmal besser haben würde. Der Gitarrist war ruhiger geworden, jetzt spielte er »Michelle«. Meine Mutter liebte dieses Lied. Sie konnte es auf französisch singen.
Yvonne döste ein, und ich ging in mein Bett zurück. Ich dachte daran, wie meine Mutter gegen die Hitze des Fiebers ihre kühlen Hände auf mein Gesicht gelegt hatte, wie sie mich in Laken gehüllt hatte, die sie vorher mit Eiswasser, Eukalyptus und Nelken getränkt hatte. Ich bin dein Zuhause , hatte sie einmal gesagt, und es stimmte immer noch.
Ich beugte mich unter das Bett und zog den Beutel mit ihren Briefen hervor, manche Umschläge so dünn wie eine Verheißung, andere fett wie weiße Karpfen. Der Beutel war schwer, er verströmte ihren Veilchengeruch. Ich stand leise auf, um Yvonne nicht aufzuwecken, schlich mich aus dem Zimmer und schloss die Tür fest hinter mir.
Im Wohnzimmer, auf der grünen Couch, schaltete ich die Glasperlenlampe an, die alles immer wie ein Gemälde von Toulouse-Lautrec aussehen ließ. Ich häufte mehrere Hand voll Briefe auf den Sofatisch. Ich
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