Weisser Oleander
verdrossen /
/meine/
/Tankanzeige steht auf VOLL/
Ich klebte sie auf ein Blatt Papier. Ich gebe sie dir zurück. Deine eigenen kleinen Sklaven. O Gott, sie revoltieren. Es ist Spartakus, Rom brennt. Jetzt plündere es, Mutter! Nimm dir, was du kriegen kannst, ehe alles zu Asche wird.
27
Die kristallklaren Märztage, die kostbarsten Tage des Jahres, kamen wie eine Segnung, königlich, nach Zeder und Pinie duftend. Prickelnd kalte Winde reinigten die Luft von jeder Unreinheit und spülten sie so klar, dass man die Bergketten bis nach Riverside sehen konnte, scharf umrissen wie eine Malen-nach-Zahlen-Vorlage; Windwolken federten an ihren gepuderten Flanken herunter wie in einer Natursendung über den Mount Everest. In den Nachrichten hieß es, die Schneegrenze sei auf viertausend Fuß gesunken. Die Tage waren ultramarinblau, mit Hermelinpelz besetzt, und die Nächte zeigten all ihre zehntausend Sterne, die über uns leuchteten wie ein Beweis; ein Kalkül, gewebt aus gewissen unumstößlichen Wahrheiten.
Wie klar ich ohne meine Mutter hinter meinen Augen sehen konnte! Ich war wiedergeboren, ein siamesischer Zwilling, der endlich von seinem gehassten, hinderlichen Doppelgänger getrennt war. Erwartungsvoll wie ein kleines Kind wachte ich früh auf, in einer Welt, die reingewaschen war vom giftigen Nebel meiner Mutter, ihren milchigen Miasmen. Dieses funkelnde Blau würde meine Metapher sein, mein Kennzeichen, wie der Mantel der Maria, blau, mit Hermelin eingefasst, Mitternacht mit Diamanten. Wer würde ich jetzt sein, da ich mich wieder zurückerobert hatte, um endlich allein Astrid Magnussen zu sein?
Liebe Astrid,
bravo! Obwohl dein Brief als Poesie einiges zu wünschen übriglässt, deutet er auf einen Funken hin, auf eine Fähigkeit zur Leidenschaft, die ich dir nie zugetraut hätte. Aber im Ernst, du kannst doch nicht glauben, dass du dich so einfach von mir lossagen kannst. Ich lebe in dir, in deinen Knochen, in den feinen Windungen deines Geistes. Ich habe dich erschaffen. Ich habe die Gedanken in deinem Kopf geformt, die Stimmungen, die du mit dir herumträgst. Dein Blut flüstert meinen Namen. Selbst in der Rebellion bist du noch mein.
Du willst meine Buße, verlangst meine Reue? Wieso willst du mich kleiner machen, als ich bin – weil du es dann leichter findest, mich fallen zu lassen? Dann halte mich lieber für grotesk, blühend vor Fantasie.
Ich bin aus der Isolationshaft entlassen, danke für deine Nachfrage. Bei meiner Wiedereinsetzung auf Barneburg B wartete neben anderen Sendschreiben ein Brief von Harper’s auf mich. Oh, diese Lobpreisungen: eine Gefängnis-Plath. (Obwohl ich keine Selbstmörderin bin, keine verschmorte Dichterin mit dem Kopf in der Backröhre.)
Gib mich nicht so schnell auf, Astrid. Es gibt Leute, die sich für meinen Fall interessieren. Ich werde hier nicht vermodern wie der Mann mit der eisernen Maske .Bald kommt das Millennium. Alles Mögliche kann passieren. Und wenn ich erst ungerechtfertigterweise eingesperrt werden musste, bevor Harper’s von mir Notiz nahm – nun … dann könnte man fast sagen, das ist es wert gewesen.
Wenn ich nur daran denke, dass ich mich in Freiheit schon glücklich schätzen konnte, wenn ich eine handgeschriebene Absage vom Dog Breath Review bekam.
Sie drucken ein langes Gedicht über Vogelthemen: die Gefängniskrähen, Wildgänse auf Wanderschaft; ich habe sogar die Tauben benutzt – kannst du dich noch an sie erinnern? Auf dem St. Andrews Place. Natürlich erinnerst du dich. Du erinnerst Dich doch an alles. Du hattest Angst vor dem verfallenen Taubenschlag; wolltest nicht auf den Hof hinausgehen, ehe ich zwischen den Efeuranken herumgestochert hatte, um Schlangen zu verscheuchen.
Du hattest immer Angst vor den falschen Dingen. Ich fand die Tatsache, dass die Tauben immer noch zurückkehrten, obwohl der Kaninchendraht längst dem Efeu gewichen war, eine viel beunruhigendere Aussicht.
Du willst mich abschreiben? Versuch es nur. Bevor du die Planke durchsägst, auf der du stehst, mach dir aber klar, welches Ende mit dem Schiff verbunden ist.
Ich werde überleben, aber wirst du es auch? Ich habe eine Gefolgschaft – ich nenne sie meine Kinder: junge gepiercte Künstlerinnen voll begeisterter Bewunderung; sie pilgern aus Fontana, Long Beach, Sonoma und San Bernardino hierher, ja, sie kommen sogar von so weit her wie Vancouver, British Columbia. Und wenn ich so sagen darf: Sie sind weitaus mehr nach meinem Geschmack als zitternde
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