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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Blick eines Profis, der wortlos die Möglichkeiten abschätzte, überlegte, wie schwer es sein würde, das, was er haben wollte, durch das Fenster nach draußen in den LKW zu schaffen. Nichts, was er sah, war der Mühe wert. Abgetretener Teppich, alte Betten, Yvonnes Papp-Pferd, ein mit Flitter statt mit Schnee gefüllter Briefbeschwerer, auf dem »Universal Studios Tour« stand. Er schüttelte den Kopf. »Ein Hund nicht sollte leben hier«, sagte er. »Astrid. Was du bloß willst machen?«
    Ich befestigte den Arm des Minotaurus an dem Spieß, hielt ihn vor die Lampe, ließ ihn den Arm heben und senken und wiederholte seine Worte. »Ein Hund nicht sollte leben hier«, sagte ich, seinen harten Akzent nachäffend. »Kinder, ja. Aber nicht Hunde. Hunde nicht.« Der Minotaurus zeigte mit dem Arm auf ihn. »Was du hast gegen Hunde?«
    »Spiel mit Puppen.« Er lächelte. »Manchmal du bist Frau, manchmal kleine Mädchen.«
    Ich steckte den Minotaurus in eine Büchse zu den anderen Stabpuppen; ein Strauß aus Papier-Halbgöttern und Monstern. »Rena ist nicht da. Sie zieht sich irgendwo mit Natalia die Birne zu.«
    »Wer sagt, ich komme, um sehen Rena?« Sergej schälte sich aus dem Türrahmen und trat ein, wie zufällig, schlenderte nur herum, so unschuldig wie ein Ladendieb. Er nahm Gegenstände in die Hand und legte sie genau da wieder hin, wo sie vorher gewesen waren, völlig geräuschlos. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Es war, als sei einer meiner Tier-Männer lebendig geworden, als hätte ich ihn herbeigerufen. Wie oft hatte ich mir genau diesen Moment vorgestellt, Sergej auf der Jagd wie ein Kater, der auf dem Gartenzaun jaulte. Ich verströmte einen zibetkatzenähnlichen weiblichen Gestank, ein charakteristisches Parfum sexueller Begierde, dem er gefolgt war, um mich hier im Dunkeln zu finden.
    Sergej nahm Yvonnes Briefbeschwerer in die Hand und schüttelte ihn, sah zu, wie der Flitter heruntersank. Im Wohnzimmer lief der Fernseher; Yvonne, versunken in irgendein Vorabenddrama über hippe junge Leute, die Klamotten von Fred Segal trugen, schickere Haarschnitte und gestyltere Probleme hatten als sie. Er steckte einen Finger in Yvonnes Lidschattenkasten und rieb sich etwas auf die Augenlider. »Was denkst du?«, lächelte er, legte den Kopf schief, betrachtete sich im Spiegel und strich sich mit einer Hand das Haar zurück, eitel wie eine Frau. Er beobachtete mich im Spiegel.
    Er hatte große, schläfrige Lider, das Silber stand ihm gut. Er sah aus wie der Prinz in einem Ballett, sein Geruch dagegen war ausgesprochen animalisch; er füllte das Zimmer mit seinem Moschus. Ich hatte mal eines seiner T-Shirts gestohlen, bloß wegen dieses Geruches. Ich fragte mich, ob er es je gemerkt hatte.
    »Astrid.« Er setzte sich auf die Kante meines Bettes, legte seinen dicken, wie Tauwerk geäderten Arm über das Kopfteil. Man hörte noch nicht mal die Bettfedern quietschen, wenn er sich setzte. »Warum du mir gehst aus dem Weg?«
    Ich begann, eine Meerjungfrau mit langen Jugendstil-Haaren aus der Titelseite eines alten Scientific American zu schneiden. »Du bist ihr Freund. Ich wohne gern hier. Deshalb gehe ich dir aus dem Weg.«
    Diese schnurrende Katerstimme. »Wer erzählt ihr? Ich? Du?«, sagte er. »Ich kenne dich bisschen, Astrid krassawiza . Nicht so braves Mädchen. Leute denken zwar, aber ist nicht, was ich sehe.«
    »Was siehst du denn?«, fragte ich. Neugierig darauf, welche bizarren Entstellungen mein Bild beim Lauf durch die Abwasserkanäle von Sergejs Geist erfahren hatte.
    »Du siehst mich, dir gefällt. Ich fühle, wie du siehst, aber dann wegschaust. Vielleicht Angst, du wirst wie sie, da ?« Er nickte mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer, wo Yvonne saß, und deutete einen dicken Bauch an. »Du nicht vertraust. Ich dir nie werden machen Baby.«
    Als ob es das wäre. Ich hatte Angst, aber nicht davor. Ich ahnte vielmehr, dass ich nicht mehr fähig wäre aufzuhören, wenn ich ihm je erlaubte, mich zu berühren. Ich konnte mich noch an den Tag erinnern, als meine Mutter und ihre Freunde auf einen Drink in das Drehrestaurant auf dem Dach des Bonaventure Hotel gegangen waren und ich mich zu den Fenstern gezogen fühlte; das Nichts, das mich hinausziehen wollte. Das gleiche Gefühl hatte ich auch jedes Mal, wenn ich mit Sergej in einem Zimmer war, dieses Gleiten in Richtung des Abgrundes.
    »Vielleicht mag ich Rena«, sagte ich, während ich winzige Schuppen in den Schwanz der Meerjungfrau schnitt. »Frauen

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