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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Rauschen des Verkehrs von der 5 herüber. Hundegebell, ein oder zwei Häuserblocks weiter ein Pistolenknall in einer rotgetönten, blutenden Nacht. Wir sind diejenigen, die Rom geplündert haben, hast du in jener fernen Nacht auf dem Dach unter dem Rabenaugenmond gesagt. Vergiss nie, wer du bist.
    Wie könnte ich das je vergessen? Ich war ihre Phantomtochter, die an leeren Tischen mit Wachsmalkreiden und Buntstiften saß, während sie an einem Gedicht arbeitete, ein Mädchen, so gefügig wie weißer Ton. Jemand, den sie formen konnte, dem sie beibringen konnte, so zu sein wie sie. Sie hatte mich immer geformt. Sie zeigte mir eine Orange, ein Häufchen Kiefernnadeln, einen facettierten Quarz und ließ sie mich beschreiben. Ich kann nicht älter als drei oder vier gewesen sein. Meine Worte, das war es, was sie wollte. »Was ist das?«, hatte sie in einem fort gefragt. »Was ist das?« Doch wie hätte ich es ihr sagen können? Sie hatte mir alle Worte genommen.
    Der Geruch nach Vanillewaffeln erfüllte die Nachtluft, und der Wind klapperte in den Palmen wie die Gedanken in meinem schlaflosen Geist. Wer bin ich? Ich bin ein Mädchen, das du nicht gekannt hast, Mutter. Das stumme Mädchen in der letzten Reihe des Klassenzimmers, das seine Schulhefte vollmalt. Erinnerst du dich noch, dass sie nicht wussten, ob ich überhaupt Englisch sprechen konnte, als wir in die Staaten zurückkehrten? Sie führten Tests mit mir durch, um herauszufinden, ob ich zurückgeblieben oder taub war. Doch du hast dich nie gefragt, warum. Du hast nie gedacht, vielleicht hätte ich Astrid ein paar Worte übrig lassen sollen.
    Ich dachte an Yvonne, die in unserem Zimmer schlief, daumenlutschend, wie eine Decke um ihr Baby gewickelt. »Ich kann sie sehen«, hast du gesagt. Du könntest sie niemals sehen, Mutter. Nicht einmal, wenn du die ganze Nacht lang in diesem Zimmer stündest. Du würdest nur ihre gezupften Augenbrauen sehen, ihre schlechten Zähne, die Bücher, die sie liest, mit ohnmächtigen Frauen auf dem Titelbild. Du könntest nie die Liebenswürdigkeit in diesem Mädchen erkennen, die Tiefe ihrer Bedürfnisse; wie verzweifelt sie dazugehören will und deshalb auch wieder schwanger ist. Du würdest sie aburteilen, wie du alles aburteilst, als minderwertig, doch du könntest sie nie sehen. Für dich waren die Dinge nicht wirklich. Sie waren nur Rohmaterial, um daraus eine Geschichte zu formen, die dir besser gefiel. Du könntest nie einfach einem Jungen beim Gitarrespielen zuhören, du müsstest gleich ein Gedicht daraus machen, es in etwas verwandeln, in dem es nur um dich geht.
    Ich ging wieder ins Haus zurück und breitete alle ihre Briefe auf Renas wackligem Küchentisch aus, Briefe aus der Zeit bei Starr und bei Marvel, aus der Zeit bei Amelia und Claire und diese letzten bitteren Lieferungen. Es gab genug, um mich für alle Zeit zu ertränken. Die Tinte ihrer Schrift war ein Pilz, ein bösartiger Fluch auf einer Birkenrinde, eine verzerrte Rune. Ich holte die Schere hervor und fing an, die Briefe zu zerschneiden; zerschnitt ihre Wortketten, Glied für Glied, nahm ihren komplizierten Gedankengang Schritt für Schritt auseinander. Sie konnte mich jetzt nicht mehr aufhalten. Ich weigerte mich, noch länger durch ihre Augen zu sehen.
    Sorgfältig suchte ich Wörter und Sätze aus dem Stapel, legte sie auf der grau-weiß gemusterten Linoleumtischplatte aus und ordnete sie zu Zeilen an. Die graue Morgendämmerung presste die ersten Pfirsichtöne hervor, als ich fertig war.
    /Es macht mich ganz krank, an dich zu denken/
    /das Vorherrschen des leeren Raumes/
    /unheilig/
    /unbeweglich/
    /Verdammte/ /Gaben/
    /unerträglich/
    /durchdrungen von einem übertriebenen Wichtigkeitsgefühl/
    /ich/ /wünschte/
    /Du wärst tot./
    /Dich vergessen/
    /Krähe/
    /blühend vor/
    /Fantasien/
    /so schrecklich/
    /eine perfekte Nachahmung/
    /Verantwortung/ /zu lieben/
    /Dich zu vergessen/
    /Ingrid Magnussen/
    /ziemlich allein/
    /masturbierend/
    /faul/
    /enttäuscht/
    /grotesk/
    /du/ /umschlingst/
    /Gifte/
    /Müll/
    /Granaten/
    /Einsamkeit/
    /weit entfernte Schreie/
    /mein Leben lang/
    /Nie/
    /Reaktionen./
    /alles/ /nehmen/
    /fühlst du mich /
    /das Los der Menschheit./
    /Hör auf/
    /Mord- und Rachepläne/ /zu/ /schmieden./
    /Buße/
    /Kultiviere sie./
    /du/
    /verbiete/ /st/
    /Gnade/
    /Zorn/
    /machtlos/
    /es ist/ /zu/
    /wichtig/
    /ich/
    /kann es nicht ertragen /
    /verdammt/
    /du/
    /verachtungswürdigste aller Kreaturen /
    /so verrückt/
    /misstönend und

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