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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Gerichtsgebäudes ihre Vorstellung für die Fernsehteams gab.
    »Aber ja doch«, sagte ich. »Blind und vielleicht sogar aus Versehen – aber der Gerechtigkeit ist Genüge getan worden. Selten genug, ich weiß. Ein modernes Wunder.«
    Susan sank gegen die Sofalehne zurück, als habe meine Bemerkung ihr alle selbstgerechte Vitalität entzogen. Ein Auto mit laut aufgedrehtem Radio fuhr vorbei und spie dröhnende Ranchero-Musik aus, und Susan warf einen schnellen Blick aus dem Fenster, um nach dem grünen Jaguar zu sehen, der vor dem Haus parkte. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass er immer noch glänzend und unversehrt an der Bordsteinkante stand, drehte sie sich wieder zu mir zurück. Matt und erschöpft. »Astrid, wenn schon junge Menschen so zynisch sind, bekomme ich immer Angst um die Zukunft dieses Landes.«
    Es war mit Abstand das Komischste, was ich den ganzen Tag gehört hatte. Ich musste lachen. Ich fand in letzter Zeit nicht mehr allzu viel lustig, doch ihre Bemerkung hätte zweifellos jeder bizarr gefunden.
    Plötzlich war die Erschöpfung genauso verschwunden wie zuvor das fanatische Rechtsempfinden. Jetzt hatte ich eine kühle, clevere Strategin vor mir, Ingrid Magnussen selbst gar nicht so unähnlich. »Barry Kolker hätte auch an Herzversagen sterben können«, sagte Susan ruhig. »Die Autopsie hat kein eindeutiges Ergebnis erbracht. Er war übergewichtig und hat Drogen genommen – oder etwa nicht?«
    »Wie Sie meinen.« Die Wahrheit ist, was immer ich als Wahrheit ausgebe. » Sehen Sie mal, Sie wollen, dass ich für sie lüge. Lassen Sie uns doch an diesem Punkt weitermachen und schauen, ob es irgendetwas gibt, worüber wir reden können.«
    Susan verzog den roten Lippenstiftmund zu einem langsamen Lächeln, strich sich mit einer Hand die schwarzen Locken aus dem Gesicht, die Wimpern wirkten sehr schwarz vor ihrem weißen Gesicht. Als ob sie sich ein bisschen schämte, aber auch irgendwie erleichtert war, weil sie mich nicht ganz so stark beschwindeln musste, wie sie vielleicht befürchtet hatte.
    »Lass uns eine kleine Autofahrt machen«, sagte sie.
    Hinter den getönten Fensterscheiben ihres Jaguars kuschelte ich mich in den Geruch nach Leder und Geld. Er umhüllte mich wie ein Pelz. Sie hatte den Jazz-Sender aus Long Beach im Radio laufen, ein Free-Form-Stück von der Westküste mit Flöte und E-Gitarre. Wir fuhren schweigend die Ripple Street hoch, vorbei an der privaten Kinderkrippe, der Brotfabrik und der Trompe-l’œil-Fassade der Clearwater Street, bogen links auf den Fletcher Drive ab, wieder links auf den Glendale Boulevard und dann rechts auf den Silverlake Boulevard und fuhren eine Zeit lang um den See. Möwen wippten auf dem blaugrünen Wasser. Die Trockenheit hatte einen riesigen Betonkragen um den See entstehen lassen, doch in der abgeschlossenen Welt des Jaguars herrschten angenehme zwanzig Grad. Ein Erlebnis, mal wieder im Auto einer reichen Frau zu fahren. Jetzt erfüllte ein neues Musikstück die verfeinerte Atmosphäre, ich erkannte es sofort: Oliver Nelson, »Stolen Moments«.
    Ich schloss die Augen und stellte mir vor, ich wäre mit Olivia zusammen und nicht mit der Rechtsanwältin meiner Mutter. Ihre nackten Arme, ihr Profil; das Tuch, das sie à la Grace Kelly um Kopf und Hals geschlungen hatte. Dieser kostbare Augenblick. Um so kostbarer, weil er unwirklich war, im nächsten Moment schon wieder vorbei; etwas, das man genießen musste wie den vorüberziehenden Hauch eines Parfums oder nachmittägliches Klavierspiel in einem Haus, an dem man vorbeiging. Ich hielt mich an der Erinnerung fest, während Susan das Auto auf der anderen Seite des Sees parkte. Von dort konnten wir das blaugrüne, weißgepunktete Wasser und die malerische Hügelkette sehen. Sie drehte die Musik leiser, doch man konnte immer noch Nelsons Trompete hören.
    »Ich möchte, dass du dich mal fragst, wessen sie sich eigentlich schuldig gemacht hat«, meinte Susan, während sie sich vom Fahrersitz zu mir drehte. »Ich meine, deiner Ansicht nach. Ganz ehrlich. Ist sie des Mordes schuldig? Oder einfach nur eine lausige Mutter, der du die Schuld dafür gibst, dass sie nicht da war, als du sie gebraucht hast?«
    Ich blickte die zierliche Frau an, ihre schwarzen, vielleicht einen Ton zu dunklen Locken, die leicht mit Mascara verschmierten Augen. Ihre Müdigkeit war aufgesetzt, andererseits aber auch echt. Wie so oft waren die Worte hoffnungslos ungenau. Ich wünschte, ich hätte etwas bei mir, um sie zeichnen

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