Weisser Oleander
waren wir nicht mehr im Stadtgebiet. Wir fuhren über eine Anhöhe und konnten in der Ebene den Wash, das ausgetrocknete, etwa eine halbe Meile breite Flussbett des Tujunga sehen. Jugendliche auf Geländemotorrädern pflügten Spuren in die offene Fläche und wirbelten fahle Staubwolken auf. Die Luft wirkte schlaff und abgekämpft.
Wir hielten auf dem lehmigen Vorplatz eines Gebäudes, das zum größten Teil aus einem Wohnwagen bestand. Inzwischen waren jedoch so viele Anbauten hinzugefügt worden, dass man es wohl als Haus bezeichnen musste. Ein Windrädchen aus Plastik steckte bewegungslos in einem Geranienbeet. Auf der breiten Veranda des Wohnwagens hingen Töpfe mit Grünlilien. Vor der Tür saßen drei kleine Jungen und starrten uns an. Einer hielt ein Einmachglas mit irgendeinem Tier in der Hand. Der älteste Junge schob seine Brille hoch und rief etwas durch das Fliegengitter in den Wohnwagen hinein. Die Frau, die durch die Tür trat, war vollbusig und langbeinig. Sie lächelte breit und entblößte dabei ihre weißen, flachen Vorderzähne. Ihr Nasenbein war platt wie das eines Boxers.
Sie hieß Starr, und in ihrem Wohnwagen war es dunkel. Sie bot uns zuckersüße Cola an, die wir aus der Büchse tranken, während der Sozialarbeiter redete. Wenn sie sprach, setzte Starr den ganzen Körper ein und warf den Kopf in den Nacken, wenn sie lachte. Zwischen ihren Brüsten glitzerte ein kleines goldenes Kreuz; der Sozialarbeiter konnte seinen Blick gar nicht mehr von diesem dunklen, geheimnisvollen Ort abwenden. Als ich den Wohnwagen verließ, merkten der Sozialarbeiter und sie es nicht einmal.
Dort draußen gab es keine fransigen Jacarandabäume, nur Oleanderbüsche und Palmen, Feigenkakteen und einen großen Peruanischen Pfefferbaum. Der Staub, der alles überzog, hatte die rötlich-beige Farbe von Sandstein; der Himmel aber wölbte sich weit wie eine sorgenfreie Stirn, rein und blau wie gefärbtes Glas. Zum ersten Mal seit langer Zeit drückte mich keine Zimmerdecke nieder.
Der älteste Junge, der mit der Brille, stand auf: »Wir fangen Eidechsen. Machst du mit?«
Sie stellten den Eidechsen unten im trockenen Flussbett Fallen aus Schuhkartons an einer Schnur. Die Geduld dieser kleinen Jungen, wenn sie schweigend und regungslos darauf warteten, dass eine Eidechse in die Falle ging. Dann zogen sie an der Schnur, und der Schuhkarton fiel um. Der älteste Junge schob ein Stück Pappe unter die Schachtel und drehte sie herum, der mittlere nahm das winzige Lebewesen und steckte es in das Einmachglas.
»Was macht ihr damit?«, fragte ich sie.
Der Junge mit der Brille sah mich verwundert an. »Sie beobachten natürlich.«
Die Eidechse im Einmachglas versuchte ein paar Liegestütze, dann wurde sie sehr still. So für sich betrachtet, konnte man sehen, wie vollkommen sie war, jede kleine Schuppe, die Reihe ihrer feinen Zehennägel. Herausgehoben durch ihr Gefangensein. Über uns ragte der Berg auf, eine erhabene Erscheinung. Wenn ich ihn aus einem bestimmten Winkel betrachtete, konnte ich fühlen, wie sich die breitschultrige Masse auf mich zubewegte und die grünen, salbeigesprenkelten Hänge näher kamen. Eine leichte Brise erhob sich. Ein Vogel schrie. Aus dem Buschwerk stieg ein scharfer, frischer Geruch empor.
Ich schlenderte zwischen sonnengewärmten Kieseln durch das ausgetrocknete Flussbett. Ich legte meine Wange an einen Felsen und stellte mir vor, ich würde so bewegungslos und stumm wie dieser Stein sein; es wäre mir gleichgültig, wohin mich der Fluss nach dem letzten Hochwasser gespült hätte. Plötzlich stand der älteste Junge neben mir. »Nimm dich in Acht vor den Klapperschlangen. Sie mögen diese Felsen.«
Ich wich zurück.
»Die Diamantklapperschlange ist die größte der amerikanischen Giftschlangen«, sagte er. »Doch sie beißen selten oberhalb des Knöchels. Pass nur auf, wo du hintrittst, und klettere nicht auf die Felsen, oder wenn doch, dann pass auf, wo du mit deinen Händen hingreifst. Mach es so.« Er hob einen kleinen Stein auf und klopfte damit gegen den nächsten Felsen, so als ob er an eine Tür klopfte. »Sie werden dir aus dem Weg gehen, wenn sie können. Achte auch auf Skorpione. Schüttle deine Schuhe aus, bevor du sie anziehst, vor allem draußen.«
Ich schaute ihn genauer an, diesen dünnen, sommersprossigen Jungen, der etwas jünger war als ich, und überlegte, ob er mir Angst einjagen wollte. Doch wahrscheinlich wollte er mich nur beeindrucken und mir zeigen, wie schlau
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