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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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auszog, inspizierte sie meinen Körper genau, so als überlege sie, ob sie ihn kaufen solle oder nicht. Meine Unterwäsche war zerrissen. »Du solltest langsam mal einen BH tragen, Missy. Dreizehn Jahre alt, da wird’s höchste Zeit. Ich hab meinen ersten BH in der vierten Klasse bekommen. Du willst doch nicht, dass sie dir bis zu den Knien hängen, wenn du dreißig bist, oder?«
    Dreizehn? Vor Schreck ließ ich einen Stapel Kleider vom Haken fallen. Ich dachte an das letzte Jahr zurück. Die Gerichtsverhandlung meiner Mutter, all die Sitzungen und Fragen, Medikamente und Sozialarbeiter. Irgendwann dazwischen war ich dreizehn geworden. In meinem Schlaf hatte ich eine unsichtbare Grenze überschritten, und niemand hatte mich geweckt, um einen Stempel in meinen Pass zu setzen. Dreizehn. Die Vorstellung verblüffte mich dermaßen, dass ich noch nicht mal mit Starr diskutierte, als sie darauf bestand, mir das rosa Kleid zu kaufen, damit ich es in die Kirche anzog, und mir eine Packung Slips und zwei BH s aufdrängte, damit sie mir nicht bis zu den Knien hingen, wenn ich dreißig war.
    Dann gingen wir nach nebenan zu Payless , um Schuhe zu kaufen. Starr nahm ein rotes hochhackiges Exemplar aus der Auslage, probierte es ohne Strümpfe an, stellte sich darauf, strich sich die Shorts über den Hüften glatt, legte den Kopf zur Seite, zog eine Grimasse und stellte den Schuh wieder ins Regal. »Ich meine, so hab ich wirklich gedacht. Wen kümmert’s, ob ich meine Titten irgendeinem Fremden ins Gesicht strecke. Geht doch keinen außer mir was an.«
    Carolee flüsterte: »Mutter, bitte sei doch still. Die Leute gucken schon.«
    Starr reichte mir ein Paar rosa Pumps, passend zu meinem neuen Kleid. Ich probierte sie an. Meine Füße sahen darin aus wie die von Daisy Duck, doch Starr fand die Schuhe wunderbar und nötigte sie mir auf.
    »Sie könnte echt besser ’n paar vernünftige Treter gebrauchen«, sagte Carolee. »Sie hat doch bloß diese Gummisandalen.«
    Ich suchte ein Paar Trekkingstiefel aus und hoffte, dass sie nicht zu teuer waren. Als ich sie ihr zeigte, verzog Starr gequält das Gesicht. »Sie wirken nicht besonders … vorteilhaft.«
    Doch Schlangen bissen selten oberhalb des Knöchels.
    Am Sonntagmorgen war Carolee schon früh auf den Beinen. Ich war ziemlich überrascht, denn am Samstag hatte sie bis mittags geschlafen. Doch um acht Uhr stand sie da, gestiefelt und gespornt, mit ihrem kleinen Tagesrucksack auf dem Rücken.
    »Wo gehst du denn hin?«
    Sie bürstete sich das sandfarbene Haar. »Machst du Witze? Ich werd doch nicht meinen Tag verplempern und dem Reverend Schleimscheiß zuhören, wie er Vorträge über das Blut des Lammes hält.« Sie legte ihre Bürste hin und rauschte aus dem Zimmer. »Sayonara.« Ich hörte draußen die Tür zuknallen.
    Ich hatte Carolees Hinweis verstanden und tat so, als ob ich krank sei. Starr betrachtete mich mit festem Blick und sagte: »Aber nächste Woche, Missy!« Sie trug einen kurzen weißen Rock, eine pfirsichfarbene Bluse und zehn Zentimeter hohe Pfennigabsätze. Sie hatte sich ziemlich kräftig mit Obsession eingesprüht. »Dann gibt’s keine Ausreden mehr!«
    Erst als ich hörte, wie Starrs Torino die Straße hochkeuchte, wagte ich aufzustehen, mich anzuziehen und mir etwas zum Frühstück zu machen. Es war schön, allein im Haus zu sein; die Jungen trieben sich irgendwo am Flussbett herum, aus der Ferne hörte man die Geländemotorräder aufheulen. Gerade saß ich beim Frühstück, als Starrs Hippiefreund aus dem Schlafzimmer trat, barfuß, nur mit einer Jeans bekleidet, und sich ein T-Shirt über den Kopf zog. Seine Brust war mager und behaart, sandfarben mit einzelnen grauen Strähnen; die struppigen Haare hatte er noch nicht zu dem üblichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Er stolperte durch den Flur zum Klo. Ich konnte ihn pinkeln hören, dann rauschte die Klospülung. Er kam in den Wohnraum, fand in einem Päckchen auf dem Tisch noch eine Zigarette und zündete sie sich an. An der Hand, in der er die Zigarette hielt, fehlten ihm ein Finger und die Kuppe eines weiteren.
    Er grinste, als er sah, wie ich seine Hand anstarrte. »Hast du noch nie gesehen, wie ein Schreiner im Restaurant bestellt? Drei Bier für die Männer vom Sägewerk!« Er hielt die verkrüppelte Hand hoch.
    Wenigstens war er, was seine Verletzung anbelangte, nicht empfindlich. Ich mochte ihn irgendwie, obwohl es mir peinlich war, dass er die »Herr im Himmel«-Schreie auf der anderen Seite der

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