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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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festgehalten zu werden. Ich atmete seinen Geruch ein, Zigaretten, Bier und scharfer Körpergeruch, frisch gefälltes Holz und der Geruch nach irgendetwas Grünem.
    Er hielt mich fest, er war stabil; er würde nicht zulassen, dass ich davontrieb. Er redete mir gut zu, sagte mir, dass mir niemand wehtun würde, dass ich ein großes Mädchen sei, dass mir nichts geschehen würde. Nach einer Weile wischte er mir die Wangen mit dem Handrücken ab, hob mein Kinn, sodass er mir ins Gesicht schauen konnte, und schob mir die Haarsträhnen aus den Augen. »Du vermisst sie wirklich, was? Sag mal, ist sie genauso hübsch wie du?«
    Ich lächelte ein bisschen, seine Augen waren so traurig und lieb. »Ich hab ein Foto.« Ich lief in mein Zimmer und holte das letzte Buch, das meine Mutter geschrieben hatte, »Staub«. Vorsichtig strich ich über ihr Foto auf dem Buchrücken, das am Strand von Big Sur aufgenommen worden war. Im Wasser gewaltige Felsen, Treibholz. Sie trug einen Seemannstroyer, der Wind blies ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie sah aus wie eine Lorelei, Verursacherin von Schiffbrüchen. Odysseus hätte sich am Mast festbinden müssen.
    »Du wirst noch hübscher aussehen«, sagte er.
    Ich wischte mir die Nase an meinem kurzen T-Shirt-Ärmel ab und lächelte. Meine Mutter war eine Frau, der die Leute auf dem Markt hinterherblickten. Nicht so wie bei Starr, sondern bloß aufgrund ihrer Schönheit. Sie schienen immer verwundert darüber, dass sie genauso einkaufen und essen musste wie andere Leute auch. Ich konnte mir nicht vorstellen, über eine solche Schönheit wie die meiner Mutter zu verfügen. Das würde ich nicht wagen. Es wäre mir unheimlich. »Auf keinen Fall.«
    »Aber klar doch! Du bist bloß ein anderer Typ. Du bist eher der süße Typ. In der Hinsicht könnte sich deine Mutter ’ne Scheibe von dir abschneiden. Nicht dass es mich stört – ich mag auch die schroffen Typen, aber du weißt schon, was ich meine. Bei dir werden sie reihenweise umfallen wie die Fliegen.« Er schaute mir mit seinen freundlichen Augen in das gesenkte Gesicht und sprach mit sanfter Stimme: »Hörst du mich? Du wirst die Körper aus dem Weg schieben müssen, wenn du die Straße runtergehst.«
    Niemand hatte je so etwas zu mir gesagt. Selbst wenn er nur log, um mich zu trösten – wer gab sich schon im Augenblick die Mühe, das zu tun?
    Er blätterte ein paar Seiten durch und las hier und da etwas. »Guck mal, das da handelt von dir.«
    Mit brennendem Gesicht riss ich ihm das Buch aus der Hand. Ich kannte das Gedicht genau.
    Psst
Astrid schläft
Rosa Brunnen ihres wortlosen Mundes
Ein Bein hängt lang vom Bett herunter
Wie ein unfertiger Satz
Ein Sternbild feiner Sommersprossen
Künftiger Möglichkeiten
Ihre Kaurimuschel
Aus der das Flüstern der ungeöffneten Frau dringt …
    Sie hatte es immer auf Dichterlesungen vorgetragen. Ich saß dann an meinem Tisch und zeichnete, ganz so, als ob ich sie nicht hörte, als sei es nicht ich, von der sie da sprach, nicht mein Körper, meine kindlichen Geschlechtsteile. Ich hasste dieses Gedicht. Dachte sie eigentlich, dass ich nicht wusste, wovon sie sprach? Dass es mir egal war, wem sie es vorlas? Nein, weil ich ihre Tochter war, dachte sie, dass ich ihr gehörte, dass sie mit mir tun und lassen konnte, was sie wollte. Mich zu Lyrik machen, meine Hühnerknöchelchen entblößen, meine Kaurimuschel, meine ungeöffnete Frau.
    »Was ist mit ihr passiert?«, fragte er.
    »Sie hat ihren Freund getötet«, sagte ich, während ich ihr Foto betrachtete, ihr Profil ein Speer zwischen meinen Rippen, der mir die Leber durchstach, den rechten Lungenflügel. Eine Träne löste sich aus meinen Wimpern und fiel auf ihr Bild. Ich wischte sie ab. »Sie ist im Gefängnis.«
    Er zuckte mit den Schultern. Als sei das etwas, was Leute nun mal machten. Nicht gut, aber auch nicht besonders schockierend.
    Die achte Klasse beendete ich in der Mount Gleason Junior High School, meiner dritten Schule in diesem Jahr. Ich kannte niemanden und wollte auch niemanden kennen lernen. Meinen Lunch aß ich mit Davey zusammen. Wir stellten uns gegenseitig Quizfragen von Karteikarten, die Davey selbst gebastelt hatte. Wie nennt man junge Frettchen? Welpen. Wie viele Welpen hat ein Wurf? Sechs bis neun. Sternbild Andromeda. Besonderes Kennzeichen? Der Andromeda-Nebel. Was wird am häufigsten beobachtet? Der Doppelstern Gamma Andromedae. Entfernung von der Erde? Zwei Millionen Lichtjahre. Besonderheit? Im Gegensatz zu den

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