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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Christentum abgefunden. »Die Guten haben auch keine besseren Karten als die anderen! Du kannst irgendso ’n Scheißheiliger sein und trotzdem die Pest bekommen oder auf eine Landmine treten.«
    »Wenigstens hast du dann etwas Höheres, an dem du dich orientieren kannst«, sagte ich, während ich das Kreuz an meinem Hals berührte und es auf der Kette hin und her zog. »Du hast einen Kompass und eine Landkarte.«
    »Und wenn es keinen Gott gibt?«
    »Man verhält sich so, als gäbe es einen, und das ist dasselbe.«
    Er saugte an seiner Pfeife und füllte das Zimmer mit ihrem Gestank, während ich das Schachbrett betrachtete. »Was sagt deine Mutter eigentlich dazu?«
    »Sie sagt: Lieber in der Hölle regieren als im Himmel dienen.«
    »Die Frau gefällt mir!«
    Ich erzählte ihm nicht, dass sie ihn Onkel Ernie nannte. Durch das Fliegengitter hörte man die Grillen zirpen. Ich warf das Haar zurück , zog meinen Läufer nach b3 und bedrohte seinen Springer. Ich spürte, wie er meinen nackten Arm betrachtete, meine Schulter, meine Lippen. Zu wissen, dass ich in seinen Augen schön war, machte mich schön. Ich hatte mich vorher noch nie schön gefühlt. Ich glaubte auch nicht, dass das gegen die Lehren Christi verstieß. Jeder wollte sich geliebt fühlen.
    Viel früher als gewöhnlich hörten wir Starrs Torino in den Hof einbiegen; die Reifen knirschten über den Kies. Ich war enttäuscht. Ray schenkte mir Beachtung, wenn sie nicht da war, doch kaum war sie nach Hause gekommen, war ich für ihn nur noch eines der Kinder. Was machte sie überhaupt schon so früh zu Hause? Normalerweise blieb sie bis elf weg, trank Kaffee mit den Drogenabhängigen oder diskutierte Matthäus 20, Vers 13 mit den alten Damen der Gemeinde.
    »Scheiße.« Onkel Ray ließ seinen Geheimvorrat und die kleine Pfeife gerade noch rechtzeitig in der Hosentasche verschwinden, bevor die Fliegentür aufging und im gleichen Augenblick die elektrische Insektenfalle eine große Fliege verschlang.
    Als sie uns und die Jungen sah, die wie hypnotisiert auf den Fernseher starrten, hielt Starr einen Augenblick an der Tür inne. Plötzlich schien sie verwirrt darüber, so früh wieder nach Hause gekommen zu sein. Sie ließ ihre Schlüssel fallen und hob sie wieder auf. Onkel Ray betrachtete sie; ihre Brüste, die beinahe aus dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides quollen.
    Dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, sie streifte die Schuhe ab, setzte sich auf seine Sessellehne und küsste ihn. Ich konnte sehen, wie sie ihre Zunge in sein Ohr steckte.
    »Ist es ausgefallen?«, fragte er.
    Ich war am Zug, doch er beachtete mich gar nicht mehr.
    Sie hängte sich über seine Schulter, presste ihre Brüste an seinen Nacken. »Manchmal hab ich einfach die Nase voll von dem Gejammer. Mir dauernd die Scheißprobleme von anderen anzuhören!« Sie hob meinen verbleibenden weißen Springer hoch. »Ich liebe Schach«, sagte sie. »Wann bringst du’s mir endlich mal bei, Ray-Baby?«
    »Hab ich doch schon mal versucht«, murmelte er mit zärtlicher Stimme, drehte den Kopf und küsste ihre Brust, direkt vor meinen Augen. »Weißt du nicht mehr? Du bist so sauer geworden, dass du das ganze Brett umgeschmissen hast!« Er nahm ihr den Springer aus der Hand und stellte ihn aufs Brett zurück, e5.
    »Damals hab ich noch getrunken.«
    »Kann Weiß Schwarz in einem Zug matt setzen?«, wiederholte er aus dem Buch von Bobby Fischer.
    »In einem Zug?«, sagte sie und kitzelte seine Nase mit einer Haarsträhne. »Das klingt aber nicht besonders aufregend.«
    Weißer Springer nach f6. Ich ließ das zierlich geschnitzte Pferd auf seine Position galoppieren. »Matt.«
    Doch sie küssten sich, und dann schickte sie die Jungen zu Bett und führte Onkel Ray in ihr Schlafzimmer.
    Die ganze Nacht lang lag ich in meinem Schlafsack mit den wilden Mustangs und Lassos und hörte das Kopfteil ihres Bettgestells gegen die Wand schlagen, begleitet von ihrem Gelächter. Und fragte mich, ob richtige Töchter auch eifersüchtig auf ihre Mütter und Väter waren, ob es sie anwiderte, wenn sie sahen, dass die Väter ihre Mütter küssten und ihre Brüste befingerten. Ich drückte meine eigene kleine Brust, die vom Schlafsack ganz heiß war, und stellte mir vor, wie sie sich wohl für eine andere Hand anfühlte, stellte mir vor, einen Körper wie Starr zu haben. Es schien beinahe, als gehörte sie einer anderen Gattung an mit ihrer schlanken Taille, den Pampelmusenbrüsten und runden Pobacken. Ich stellte mir

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