Weisser Oleander
Kinder, die in den warmen, weichen Nächten mit Taschenlampen durch den Wash liefen und eine Ohreule aufschreckten. Rays Schachspiel. Die Art, wie er das Brett betrachtete, eine Faust unter das Kinn gestützt. Die Paloverdebäume in der Morgenkühle; eine Klapperschlange, die ausgestreckt auf einem Felsen lag.
In diesem Sommer malte ich allen Bilder: Eidechsen für Peter; Kinder, die auf weißen Giraffen und Einhörnern ritten, für Owen; für Davey malte ich nach Zeitschriftenfotos Raubvögel: Goldadler, Rotschulterbussarde, Wanderfalken, Kaktuskauze, auf Ästen thronend und im Flug. Ich malte ein Porträt von Carolee, das sie ihrem Freund geben konnte, und ein paar Bilder für Starr, vor allem Engel sowie einen Jesus, der über das Wasser lief. Auch Starr selbst malte ich in verschiedensten Posen im Badeanzug, ähnlich den Pin-up-Plakaten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Onkel Ray wollte nur ein Bild von seinem Pick-up. Er hatte einen alten Ford, hoch und aquagrün, am Rückspiegel baumelte ein Jointclip, und ein Aufkleber am Heck verkündete: »Dieses Eigentum steht unter dem Schutz von Smith & Wesson.« Ich malte den Pick-up an einem klaren Morgen vor der Bergkulisse – aquagrün, lachsfarben und hellblau.
In diesem Sommer brachen die heißen Santa-Ana-Winde mit einer Intensität herein, wie ich es noch nie erlebt hatte. Über die Gebirgskämme näherte sich das Feuer und brannte, kaum eine Meile entfernt, die Bergflanken ab. Dies hier war kein weit entfernter Qualm am Horizont, gebremst durch Meilen von Beton. Wir sahen tausend Morgen Grasland auf dem Big Tujunga abbrennen. Unsere Siebensachen hielten wir sicherheitshalber in Rays Pick-up und im Kofferraum des Torino verstaut. Der Wind blies in Hurrikanstärke, die abgebrannten Flächen wurden bereits in Quadratmeilen angegeben, und aus der Stadt wurden Rassenunruhen gemeldet. Onkel Ray ging dazu über, nach der Arbeit im Hof seine Waffen zu reinigen, da die Asche von den Bränden alles mit einer feinen Staubschicht bedeckt hatte. Er hielt mir die kleine Pistole hin, eine Beretta. Sie lag wie ein Spielzeug in meiner Hand. »Willst du mal schießen?«
»Klar«, sagte ich. Den Jungen erlaubte er nie, seine Waffen zu berühren. Starr wollte von den Waffen am liebsten gar nichts wissen, obwohl sie jetzt, nachdem die Rassenunruhen in vollem Gange waren, Ray nicht mehr dauernd aufforderte, sie wegzugeben. Er nahm eine Dose grünen Sprühlack, sprühte eine Figur auf ein großes Stück Pappkarton und ließ sie aus Spaß noch ein Fernsehgerät tragen. Dann lehnte er die Pappe gegen einen Oleanderbusch am anderen Ende des Hofes. »Er klaut deinen Fernseher, Astrid. Knall ihn ab!«
Mit der kleinen 22er Beretta machte es Spaß. Ich traf bei vier von neun Schüssen. Er klebte Tape über die Einschusslöcher, damit ich sehen konnte, welche alt und welche neu waren. Nach und nach durfte ich alle Waffen ausprobieren – das Gewehr, die kurzläufige 38er Police Special, Smith & Wesson, sogar die Pump Gun. Mir gefiel die Beretta am besten, doch Ray bestand darauf, dass das einzig Wahre die Smith & Wesson sei, sie habe »Durchschlagskraft«. Er legte sie mir in die Hände und zeigte mir, wie man mit ihr zielte und wie ich mich mental auf das Drücken des Abzuges einstellen sollte. Von den vieren war die 38er am schwersten zu bedienen. Man brauchte dazu beide Hände und musste die Arme wegen des Rückstoßes sehr gerade halten.
Wie ein Hammer oder Schraubenzieher hatte jede Waffe ihren Einsatzbereich. Mit dem Gewehr jagte man, die Beretta war eine handliche Waffe für etwaige kritische Situationen – eine Bar, ein Treffen mit der Ex, eine Verabredung – das, was Ray »Nahkampfübungen« nannte. Mit der Schrotflinte verteidigte man sein Haus. »Tretet hinter mich, ihr Kinderlein«, sagte er mit großmütterlicher Stimme, und wir rannten alle hinter ihn, während er einen Schuss vorführte und dabei den Oleander mit Schrot sprenkelte.
Und die 38er? »Es gibt nur einen Grund für die 38er. Den Mann töten.«
Ich fühlte mich wie eine israelische Soldatin, als ich, in meine Shorts gekleidet, im heißen Wind das Gewehr anlegte, mein Ziel anvisierte und die 38er mit beiden Händen umklammert hielt. Es war ein komisches Gefühl, seinen Blick zu spüren, während ich zielte. Ich merkte, dass ich mich nicht richtig auf das Ziel konzentrieren konnte. Halb war meine Aufmerksamkeit auf das C von Cola gerichtet, halb schwebte ich im Bewusstsein, dass er mich beobachtete.
Und mir kam der
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