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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Starr in mir zu sehen glaubte.
    »Meinem Kerl nachstellen.« Sie suchte eine Zigarettenkippe aus dem Aschenbecher, der auf dem Nachttisch stand, bog sie gerade und zündete sie an.
    Ich musste lachen. »Hab ich gar nicht!« Das war es also, was sie sah. Bums, bums, bums, Herr im Himmel! »Das hab ich nicht.«
    »Dauernd hängst du bei ihm rum, befummelst seine ›Werkzeuge‹ – ›Wofür ist das da, Onkel Ray?‹ Spielst mit seinen Waffen. Ich hab euch beide gesehen. Als alle schliefen, bis auf euch zwei. Umeinander rumscharwenzelt seid ihr, kuschel, kuschel – zu süß, um wahr zu sein!« Sie blies den schalen Rauch der Zigarettenkippe in die stickige, feuchte Luft.
    »Er ist alt«, sagte ich. »Wir machen doch gar nichts.«
    »So alt ist er auch wieder nicht«, sagte Starr. »Er ist ein Mann, Missy. Und er sieht, was er sieht, und tut, was er kann. Ich muss mich ein bisschen beeilen, bevor er zurückkommt – aber ich kann dir nur sagen, dass ich beschlossen hab, das Jugendamt anzurufen. Also, was immer du dir vorgestellt hast – das ist jetzt vorbei! It’s all over now, Baby Blue. Der Zug ist abgefahren!«
    Ich starrte sie an, ihre buschigen Wimpern. So gemein konnte sie doch nicht sein, oder? Ich hatte doch gar nichts getan. Klar, ich liebte ihn. Doch dafür konnte ich nichts. Sie liebte ich auch und Davey – sie alle. Es war ungerecht. Es konnte nicht ihr Ernst sein.
    Ich wollte protestieren, doch sie hob abwehrend die Hand, zwischen ihren Fingern glomm die Zigarettenkippe. »Du brauchst gar nicht mit mir zu diskutieren. Ich hab endlich mal ’ne nette Sache am Laufen. Ray ist der beste Typ, den ich je hatte, er behandelt mich gut. Vielleicht hast du’s noch nicht versucht – aber ich rieche hier S - E - X , Missy – und ich will’s nicht drauf ankommen lassen! Ich hab schon zu viel Scheiße erlebt, diese Sache lass ich mir nicht verderben!«
    Ich saß zappelnd wie ein Fisch in dem stickigen Raum und schnappte nach Luft, während der Regen auf das Metalldach prasselte. Sie warf mich raus wegen nichts und wieder nichts. Ich spürte, wie mich der Ozean von meinem kleinen, sicheren Plätzchen auf dem Felsen riss. Ich konnte den Fluss hören, der Tonnen von Felstrümmern davontrug. Ich versuchte mir eine Entschuldigung auszudenken, eine Begründung, die sie beruhigen würde.
    »Ich hab nie einen Vater gehabt«, sagte ich.
    »Spar dir die Erklärungen.« Sie drückte den zweifach gerauchten Stummel im Aschenbecher aus und betrachtete dann ihre Finger. »Ich muss mich um mich selbst und meine eigenen Kinder kümmern! Du und ich, wir kennen uns kaum. Ich schulde dir gar nichts.« Sie sah an ihrem flusigen Pullover hinunter und bürstete etwas Asche ab, die an ihrer prallen Brust hängen geblieben war.
    Ich rutschte, verlor das Gleichgewicht, fiel. Ich hatte Starr vertraut und ihr nie einen Grund gegeben, an mir zu zweifeln. Es war ungerecht. Sie war eine Christin, doch sie handelte nicht fromm, nicht gut. »Wie steht es mit der Barmherzigkeit?«, sagte ich wie jemand, der im Sturz verzweifelt nach dem letzten, rettenden Ast greift. »Jesus würde mir eine Chance geben.«
    Sie stand auf. »Ich bin nicht Jesus«, sagte sie. »Nicht im Entferntesten.«
    Ich saß auf dem Bett und betete zu der Stimme im Regen. Bitte, Jesus, lass nicht zu, dass sie mir das antut. Jesus, wenn du uns sehen kannst, öffne ihr Herz. Bitte, Jesus, mach, dass das nicht wahr ist.
    »Tut mir Leid, du warst ein nettes Mädchen«, sagte sie. »Aber so ist das Leben.«
    Die einzige Antwort war Regen. Schweigen und Tränen. Nichts. Ich musste an meine Mutter denken. Was würde sie an meiner Stelle tun? Sie würde nicht lange zögern. Sie würde nichts auslassen, um das zu bekommen, was sie wollte. Und während ich an sie dachte, spürte ich etwas in meine Leere fließen wie ein biegsamer Stahlträger, der mir die Wirbelsäule hochkroch. Ich wusste, dass es das Böse war, was ich da fühlte, der Eigensinn, doch wenn es so war, dann war es so. Plötzlich sah ich uns auf einem riesigen Schachbrett und wusste genau, welchen Zug ich machen musste.
    »Er könnte ziemlich sauer werden«, sagte ich. »Hast du daran schon mal gedacht? Wenn er erfährt, dass du mich weggeschickt hast, weil du eifersüchtig warst.«
    Starr war schon auf halbem Wege zur Tür, doch sie blieb stehen und drehte sich um. Sie starrte mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen. Ich war selbst überrascht, wie schnell plötzlich die Worte aus mir flossen. Ich war doch

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