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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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immer diejenige gewesen, der die Worte gefehlt hatten. »Männer mögen keine eifersüchtigen Frauen. Du versuchst, ihn an die Kette zu legen. Er wird dich hassen. Er wird vielleicht sogar mit dir Schluss machen.«
    Es gefiel mir, wie sie zusammenzuckte, denn ich wusste, dass ich die Falten auf ihrer Stirn verursacht hatte. Auf einmal fühlte ich eine Macht in mir, die vorher nicht da gewesen war.
    Sie zog den Pullover herunter, sodass ihre Brüste noch spitzer hervorragten, und musterte sich im Spiegel. Dann lachte sie. »Was weißt du schon von Männern! Du Baby!«
    Doch ich konnte die Unsicherheit spüren, aus der heraus sie sich zum Spiegel gedreht hatte, und fuhr fort. »Ich weiß, dass Männer keine Frauen mögen, die versuchen, sie zu vereinnahmen. Sie lassen sie fallen.«
    Starr drückte sich um die Kommode herum, unschlüssig, ob sie mich lieber schnell loswerden oder mir die Gelegenheit geben sollte, sie noch mehr zu verunsichern. Sie beschäftigte sich damit, einen weiteren brauchbaren Zigarettenstummel im Aschenbecher zu suchen, fand einen, der nicht ganz so lang war wie der erste, glättete ihn zwischen den Fingern und zündete ihn mit ihrem hellblauen Bic-Feuerzeug an.
    »Vor allem dann, wenn gar nichts läuft. Ich mag dich, ich mag ihn, ich mag die Kinder. Ich würde doch nie irgendwas tun, um das zu verderben. Weißt du das denn nicht?« Je mehr ich sagte, desto weniger stimmte es. Der Engel auf ihrer Kommode blickte schamerfüllt zu Boden; er wagte nicht, mir in die Augen zu sehen. Der Regen trommelte aufs Dach.
    »Schwöre, dass du nichts von ihm willst!«, sagte sie schließlich und kniff die Augen gegen den beißenden Rauch zusammen. Sie griff nach der Bibel, die auf ihrem Nachttisch lag, einer weißen Lederbibel mit Goldschnitt und rotem Lesezeichen. »Schwör auf die Bibel.«
    Ich legte meine Hand darauf. Von mir aus hätte es das Telefonbuch sein können. »Ich schwöre bei Gott«, sagte ich.
    Sie rief nie beim Jugendamt an, doch sie beobachtete jeden meiner Schritte, jede Bewegung, jede Geste. Ich war nicht daran gewöhnt, beobachtet zu werden; es gab mir ein Gefühl von Wichtigkeit. Ich spürte, dass an jenem Tag in ihrem Schlafzimmer eine Schicht von mir abgeschält worden war. Das, was darunter zum Vorschein kam, glühte.
    Eines Abends hatte sie sich mit dem Essen ziemlich verspätet, und während wir aufaßen, schaute Onkel Ray auf die Uhr. »Du wirst noch zu spät kommen, wenn du dich nicht langsam auf den Weg machst!«
    Starr lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, griff nach der Kaffeetasse, die hinter ihr auf der Küchenbar stand, und schenkte sich eine Tasse ein. »Ich glaube, sie können dort mal einen Abend ohne mich auskommen, meinst du nicht auch, Baby?«
    In der folgenden Woche schwänzte sie noch zwei weitere Treffen, und in der dritten Woche ließ sie sogar den Kirchgang ausfallen. Stattdessen trieben sie es den ganzen Vormittag lang, und nachdem sie endlich aufgestanden waren, ging sie mit uns zum International House of Pancakes, wo wir uns an einen großen Ecktisch setzten und Schokoladenpfannkuchen und Waffeln mit Sahne aßen. Alle lachten und amüsierten sich, doch ich sah nur, wie Ray seinen Arm um ihre Schultern legte und auf der Kunstlederlehne der Sitzgarnitur ruhen ließ. Ich fühlte mich unwohl und schob die Waffeln auf meinem Teller herum. Ich hatte keinen Hunger mehr.
    Die Regenfälle gingen vorüber, und nun zeigte der frisch gewaschene Himmel nachts alle seine Sterne. Die Jungen und ich standen geduldig an der dunkelsten Stelle des lehmigen Hofes und lauschten dem Brausen des Tujunga-Flusses jenseits der nachtschwarzen Bäume. Dicke Schlamm-Pfannkuchen blieben an meinen Stiefeln hängen, während ich in der feuchtkalten Nachtluft den Kopf in den Nacken legte und versuchte, die Bären und Kreuze auszumachen. Selbst Daveys Bücher zeigten nicht so viele Sterne. Ich konnte sie nicht auseinander halten.
    Ich dachte, ich hätte einen Lichtstreif gesehen, war mir aber nicht sicher, so schnell war es gegangen. Ich starrte empor, versuchte nicht zu blinzeln und wartete.
    »Da!« Davey deutete nach oben.
    In einem anderen Himmelsquadranten löste sich ein weiterer Stern. Es war unheimlich – eines der wenigen Dinge, auf die man keinen Einfluss hatte: die Bewegungen der Sterne. Ich versuchte, die Augen ohne Zwinkern offen zu halten. Wenn man zwinkerte, verpasste man sie. Ich riss die Augen auf, damit die Sternschnuppen sie belichten konnten wie ein Foto.
    Die kleinen Jungen

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