Weisser Oleander
Hollywoodschaukel zurück.
In diesem Moment ging mir auf, dass Starr betrunken war. Sie war achtzehn Monate lang trocken geblieben, hatte alle Plastik-Chips der Anonymen Alkoholiker an ihrem Schlüsselbund getragen, rot, gelb, blau, violett. Es war eine so große Sache für sie gewesen. Ich hatte es nie ganz verstanden. Ray trank. Meine Mutter trank. Michael hatte mit dem Trinken begonnen, kaum dass er mittags seine Tonbandaufnahmen für »Books on Tape« beendet hatte, so lange, bis er um Mitternacht einschlief. Ihm schien es nicht zu schaden. Sofern überhaupt eine Veränderung festzustellen war, sah Starr jetzt glücklicher aus als vorher. Ich fragte mich, weshalb sie sich so angestrengt hatte, eine Art Heilige zu werden, wenn das doch gar nicht ihrer Natur entsprach. Was sollte das Ganze?
»Er ist ganz scharf auf mich, weißt du«, sagte sie. »Dieser Ray. Das ist ein Kerl, der eine echte Vollblutfrau braucht.« Sie ließ die Hüften in den knappen Shorts kreisen, als ob sie gerade auf ihm ritt. »Seine Frau hat nicht den kleinsten Scheiß für ihn getan.« Sie zog wieder an ihrer Zigarette, senkte die getuschten Wimpern und erinnerte sich: »Der Kerl war ganz ausgehungert nach einer richtigen Nummer. Ich hab sie mal gesehen, weißt du. Seine Frau.« Sie trank einen Schluck aus der Kaffeetasse, und nun konnte ich es riechen. »Flach wie ein Brett. Vernünftige Schuhe, du weißt schon, was ich meine. Wollte ihm keinen blasen und nix. Er kam in den Trop Club, saß bloß da und hat uns Mädels mit diesen traurigen Augen angestarrt wie einer, der halbverhungert durch den Supermarkt schleicht.« Sie nahm die Schultern zurück und streckte den Busen vor, damit ich eine Vorstellung davon bekam, was genau Ray angestarrt hatte; dabei verhakte sich das Kreuz zwischen ihren Brüsten, Jesus, erdrückt im Fleisch. Sie lachte und ließ Zigarettenasche auf das weißgefleckte Kätzchen fallen. »Ich musste mich einfach in ihn verlieben.«
Bei der Vorstellung, wie Ray in einem Stripclub die Mädchen mit ihren Riesenbrüsten anstarrte, wurde mir ganz schlecht. Er hatte wahrscheinlich bloß nicht gewusst, wohin. Ich hob den Stock wieder auf, raschelte mit den Bändern und versuchte, die Katze dafür zu interessieren, damit Starr mein rotes Gesicht nicht sah.
»Ich muss verrückt gewesen sein, als ich gedacht hab, dass du und er …«, sprach sie in ihre Kaffeetasse, leerte sie aus und stellte sie mit einem dumpfen Knall auf den mosaikverzierten Tisch. »Ich meine, schau dich doch bloß an. Du bist doch noch ein richtiges Baby. Hast noch nicht mal einen BH getragen, bis ich dir den da gekauft hab.«
Sie versuchte sich einzureden, dass zwischen mir und Ray nichts war, dass da gar nichts sein konnte, weil sie eine Frau war und ich ein Nichts. Doch ich konnte noch immer fühlen, wie er vor mir auf dem rauen Holzboden kniete, wie er meine Hüften umschlang und meinen nackten Bauch küsste. Ich konnte den Geruch nach frischem Holz riechen, den Griff seiner Finger spüren, und wir entflammten wie der ölfette Chaparral zur Oleanderzeit.
Durch die Vorhänge schien weiß der Vollmond. In der Küche brummte der Kühlschrank, Eiswürfel klapperten in der Eismaschine. »Ich kann gar nicht glauben, dass sie nach der ganzen Zeit wieder rückfällig wird«, sagte Carolee. »Trau nie einem Alkoholiker. Regel eins, zwei und drei.«
Carolee saß auf dem Bett, schälte sich aus ihrem Nachthemd und zog Minirock, Nylonstrumpfhosen und ein glänzendes T-Shirt an. Sie öffnete das Fenster, schob das Fliegengitter zur Seite und kletterte mit den hochhackigen Schuhen in der Hand auf die Kommode. Ich hörte, wie sie draußen auf der Veranda landete.
»Und was glaubst du wohl, wo du grade hingehst, Missy?«, erklang Starrs Stimme aus der Dunkelheit.
»Seit wann kümmert dich das denn?«, hörte ich Carolee antworten.
Ich trat ans Fenster. Starr konnte ich nicht sehen, nur Carolees Hüfte in dem weißen Rock; sie hatte die Hände trotzig in die Hüften gestemmt.
»Ziehst wohl los, um sie für jeden Tom, Dick und Harry breitzumachen.« Starr musste sich ein paar Gläschen auf der Veranda genehmigt haben, im Liegestuhl neben dem Wohnzimmerfenster.
Carolee zog sich ihre hochhackigen Schuhe an, einen nach dem anderen, und trat auf den Hof hinaus, der vom Vollmond hell wie eine Bühne erleuchtet wurde. »Und wenn schon.« Ich hätte gern gezeichnet, wie ihr breitschultriger Körper einen Schatten auf den mondblassen Staub warf. Wie mutig sie in diesem
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