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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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frei, wäre ich jetzt nicht hier. Sie hätte mir nie erlaubt, das hier zu haben. Sie behielt alles Gute für sich.
    »Ich liebe dich, Ray«, sagte ich.
    »Psst«, sagte er und hielt meine Hüften fest. Seine Augenlider flatterten. »Sag jetzt nichts.«
    Also ritt ich nur, ritt in die Morgendämmerung; die Gischt des Ozeans prickelte auf meiner Haut, die Flut stieg, phosphoreszierend und voller Seesterne.
    Starrs Gereiztheit kochte über und ergoss sich vor allem über die Kinder. Sie beschuldigte ihre Tochter all der Dinge, die sie am liebsten mir vorgeworfen hätte. Carolee ließ sich kaum mehr zu Hause blicken, nachmittags kurvte sie mit Derrick auf seinem Geländemotorrad umher, das Dröhnen der Motorräder klang wie ein beständig nagender Zweifel. Wenn ich nicht gerade mit Ray zusammen war, blieb ich in der Schule, ging in die Bücherei oder jagte gemeinsam mit den Jungen Frösche. Der breite Winterstrom des Tujunga-Flusses trocknete allmählich ein und ließ kleine Rinnsale und Schlammpfützen zurück. Die Frösche hoben sich kaum vom Schlamm ab, und man musste sehr ruhig warten, um sie zu sehen. Meistens saß ich bloß auf einem Felsen in der Sonne und malte.
    Doch eines Tages kam ich vom Tujunga Wash nach Hause und fand Starr zusammengekrümmt auf der Verandaschaukel. Sie hatte das Haar auf Wärmewickler gedreht, trug eine blaue, unter der Brust eng geschnürte Bluse und knappe Jeans-Shorts, die im Schritt einschnitten. Sie spielte mit den Kätzchen, die die Katze in diesem Frühjahr unter dem Haus geworfen hatte. Sie lockte sie mit den Geschenkbändern an, die Davey an einem Stock festgebunden hatte, lachte und sprach mit ihnen, was ganz untypisch für sie war. Normalerweise nannte sie die Katzen »haarige Rattenviecher«.
    »Nanu – unsere Künstlerin persönlich! Komm, unterhalt dich mit mir, Missy. Ich langweil mich so, dass ich schon mit den Katzen spreche.«
    Sie wollte sich sonst nie mit mir unterhalten, und irgendetwas stimmte mit ihrem Mund nicht; er schien sich langsamer zu bewegen als die Worte, die sie sagte. Sie gab mir den Stock und zog eine Zigarette aus der Benson & Hedges-Packung. Sie steckte sich das falsche Ende in den Mund, und ich beobachtete sie, weil ich sehen wollte, ob sie es auch anzünden würde. Sie merkte es gerade noch rechtzeitig. »Weiß gar nicht mehr, wo vorne und hinten ist«, scherzte sie und trank einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Ich zog die Bänder über den Teppich und lockte eines der grau-weißen Fellknäuel unter der Schaukel hervor. Es hüpfte hoch, machte einen Satz nach vorn und rannte dann weg.
    »Also, erzähl mir was«, sagte sie, zog mit einer übertriebenen Geste an ihrer Zigarette und blies den Rauch in einer langen Fahne aus. Während sie den Hals nach hinten bog, streckte sie mir ihre reizvolle Kehle entgegen, dabei sah ihr Kopf mit den Wärmewicklern aus wie eine Pusteblume. »Früher haben wir uns andauernd unterhalten. Aber jetzt ist ja jeder so verdammt beschäftigt, da stimmt doch was mit dem Leben nicht! Hast du Carolee gesehen?«
    Am Ende der Straße konnten wir beide die Staubwolken der Motorräder in den dünnen blauen Himmel aufsteigen sehen. Lieber wäre ich Staub gewesen, Rauch, Wind, die Sonne, die auf dem Chaparral glitzerte, überall, nur nicht hier auf der Veranda bei der Frau, der ich gerade den Mann gestohlen hatte.
    »Carolee macht Ärger«, sagte Starr, streckte den Fuß aus und betrachtete den silbrigen Nagellack. »Halt dich bloß von ihr fern. Muss mir das Mädchen mal vornehmen. Dieser Abwärts-Spirale ein Ende setzen! Sie kann mal ’ne ordentliche Dosis aus der Bibel vertragen!« Sie zog sich einen Wickler aus den Haaren, schielte auf die Locke über ihrer Stirn, machte sich daran, auch die anderen Wickler abzurollen, und ließ sie einen nach dem anderen in ihren Schoß fallen. »Du bist ein braves Mädchen. Ich werd dich schon dafür entschädigen. Entschädigen. Wo ist Carolee, hast du sie gesehen?«, fragte sie noch mal.
    »Ich glaube, sie ist mit Derrick weg«, sagte ich, während ich die Bänder am Ende des Stockes vor der Hollywoodschaukel umherschwenkte, unter der sich das Kätzchen versteckt hatte.
    Sie beugte den Kopf vor, um die Wickler von ihrem Hinterkopf abzunehmen. »Ausgerechnet mit diesem Asi. Seine Mutter ist so behämmert, dass sie die Fertiggerichte samt Packung in den Ofen schiebt.« Sie lachte und ließ den Lockenwickler fallen, und das Kätzchen, das gerade hervorgekommen war, schoss wieder unter die

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