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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Werkstatt hinter der Garage, manchmal sogar am Flussbett zwischen den Felsen. Wir bemühten uns, nicht gleichzeitig im selben Raum zu sein, wenn Starr zu Hause war; wir entzündeten die Luft zwischen uns.
    Dann schrie Starr eines Tages die Jungen wegen der Unordnung im Wohnzimmer an: ein paar Plastik-Eidechsen, Legosteine und ein Modell, an dem Davey gerade bastelte. Es handelte sich um eine sorgfältige, naturgetreue Nachbildung der Vasquez Rocks und der Fossilien, die er dort bei einem Klassenausflug gefunden hatte, Turritellaschalen und Trilobiten aus dem Kambrium. Starr schleuderte Spielsachen und Puzzleteile durch die Gegend und marschierte dann zu Davey, hob den Fuß und zertrampelte sein Projekt mit zwei kräftigen Tritten. »Ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass du deinen Scheiß wegräumen sollst!«
    Die anderen Jungen rannten durch die Fliegengittertür nach draußen, doch Davey kniete neben seinem zerstörten Modell und berührte die zertrampelten Schalen. Er blickte auf, und ich brauchte gar nicht erst seine Augen hinter den Brillengläsern zu sehen, um zu wissen, dass er weinte. »Ich hasse dich!«, schrie Davey. »Du machst alles kaputt! Du begreifst ja noch nicht mal …«
    Starr packte ihn und schlug ihn, dabei hielt sie einen seiner Arme umklammert, sodass er nicht weglaufen konnte, und kreischte: »Für was hältst du mich eigentlich? Wag es ja nicht, mich dumm zu nennen! Ich bin deine Mutter! Ich bin ein Mensch! Ich kann auch nicht alles allein machen! Zeig gefälligst ein bisschen Achtung!«
    Es hatte mit ein paar Ohrfeigen begonnen, doch nun verprügelte sie ihn regelrecht. Die kleinen Jungen hatten sich verdrückt, aber ich konnte nicht einfach weglaufen. Ich war schließlich der eigentliche Grund für Starrs Wutausbruch.
    »Starr«, sagte ich, während ich versuchte, sie wegzuziehen, »hör auf!«
    »Du hältst den Mund!«, kreischte sie und schüttelte mich ab. Das Haar hing ihr ins Gesicht, ihre Augen waren um die Pupillen herum ganz weiß. »Du hast hier gar nichts zu sagen, hörst du!«
    Schließlich stolperte sie weg und hielt sich weinend die Hände vors Gesicht. Davey saß bloß fassungslos neben seinem verwüsteten Modell, und ich sah, wie ihm die Tränen übers Gesicht liefen. Ich hockte mich neben ihn, um zu schauen, ob noch irgendetwas zu retten war.
    Starr öffnete die Flasche Jim Beam, die sie neuerdings im Küchenschrank neben den Cornflakes aufbewahrte, goss sich ein Glas ein und warf ein paar Eiswürfel dazu. Inzwischen trank sie schon direkt vor unseren Augen. »So kannst du einfach nicht mit Leuten reden«, sagte sie, während sie sich Augen und Mund abwischte, »du kleines Stück Scheiße!«
    Daveys Arm hing in einem seltsamen Winkel herunter. »Tut dir der Arm weh?«, fragte ich ihn leise.
    Er nickte, blickte mich aber nicht an. Wusste er es etwa? Konnte er es sich denken?
    Starr saß zusammengesunken auf einem Plastikstuhl, ganz erschöpft von der Prügelei. Trotzig trank sie ihren Whiskey. Sie nahm sich eine Zigarette aus der goldenen Schachtel und zündete sie an.
    »Ich glaube, er ist ausgerenkt«, sagte Davey.
    »Jammer, jammer, jammer. Wieso gehst du nicht woanders hin, du alte Heulsuse?«
    Ich füllte einen Plastikbeutel mit Eis und drückte ihn gegen Daveys Schulter. Die Schulter sah schlecht aus. Sein Mund zitterte. Er jammerte nie.
    »Er muss ins Krankenhaus«, sagte ich ängstlich und versuchte, dabei nicht anklagend zu klingen.
    »Schön, aber ich kann ihn nicht fahren. Du musst ihn hinfahren.« Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel und warf ihn mir zu. Sie hatte völlig vergessen, dass ich erst vierzehn war.
    »Ruf Onkel Ray an.«
    »Nein.«
    »Mom?« Jetzt schluchzte Davey. »Hilf mir.«
    Sie schaute ihn an, und jetzt sah auch sie den seltsamen Winkel seines Armes, den nach vorn gestreckten Ellbogen. »O Gott!« Sie lief zu Davey, schlug sich dabei das Schienbein am Couchtisch an und hockte sich neben ihren Sohn, der auf dem Sofa saß und sich den Arm hielt. »Oh, Mister, es tut mir so Leid! Mami tut es so Leid, mein Kleiner.« Je mehr sie nachdachte, desto aufgeregter wurde sie. Ihre Nase lief. Mit einer unbeholfenen Geste versuchte sie, ihm das Haar aus dem Gesicht zu streichen, und fuchtelte linkisch und sinnlos mit den Händen herum. Er drehte den Kopf weg.
    Sie verschränkte die Arme, allerdings nicht in Brusthöhe, sondern weiter unten, eher vor dem Bauch, kauerte sich vor das Sofa auf den Boden, wiegte sich vor und zurück und schlug

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