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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Moment aussah.
    Starr ließ es nicht dabei bewenden. »Du weißt doch, was sie über dich sagen: ›Carolee ist stets bereit, macht kostenlos die Beine breit.‹ Nutten sollten sich eigentlich bezahlen lassen, weißt du das denn nicht?«
    »Das weißt du wahrscheinlich besser als ich.« Carolee wandte sich ab und ging in Richtung Straße.
    Jetzt torkelte Starr in mein Gesichtsfeld, sie stolperte in einem kurzen Nachthemdchen die Stufen hinunter und gab Carolee eine Ohrfeige. Das Geräusch des Schlages hallte durch die stille Nacht, unwiderruflich.
    Carolee holte mit dem Arm aus und schlug zu. Starrs Kopf zuckte zur Seite. Es war hässlich anzusehen, aber auch faszinierend; wie ein Film, so als ob ich die beiden gar nicht kannte. Starr packte sie an den Haaren und zerrte sie herum, während Carolee kreischte und ihrerseits versuchte, Starr zu schlagen, doch sie konnte sich nicht weit genug aufrichten, um Starr zu treffen. Deshalb zog sie einen der hochhackigen Schuhe aus, schlug damit nach ihr, und Starr ließ sie los.
    Ich sah Ray die Stufen herunterkommen, nur mit einer Jeans bekleidet. Ich wusste, dass er darunter nichts anhatte, dieser Körper, den ich so liebte. Carolee packte Starr an der Vorderseite ihres Nachthemds und schubste sie mit einem kräftigen Stoß in den Dreck. Sie stand über Starr, sodass diese an Carolees nylonbestrumpften Beinen und ihren hochhackigen Schuhen emporschauen musste. Wie viel schlimmer konnte das noch werden, konnte eine Tochter ihrer Mutter ins Gesicht treten? Es war deutlich, dass sie das am liebsten getan hätte.
    Ich war erleichtert, als Ray dazwischenging und Starr auf die Beine half. »Lass uns ins Bett zurückgehen, Baby.«
    »Du beschissene Säuferin!«, schrie Carolee ihnen nach. »Ich hasse dich!«
    »Dann verpiss dich doch«, sagte Starr, die unsicher schwankend an Rays Arm hing. »Schieb ab! Dich braucht hier keiner!«
    »Das meinst du doch nicht ernst«, sagte Ray. »Lass uns erst mal drüber schlafen, okay?«
    »Ich hau ab«, rief Carolee, »darauf könnt ihr euch verlassen!«
    »Wenn du abhaust, brauchst du gar nicht mehr wiederzukommen, Missy.«
    »Wer sollte verdammt noch mal hierhin wiederkommen wollen?«, sagte Carolee.
    Sie kam in unser Zimmer gestürmt, riss Schubladen auf, zerrte Klamotten auf ihr Bett und stopfte alles, was irgendwie hineinging, in einen geblümten Koffer. »Tschüs, Astrid, war nett mit dir!«
    Davey und die kleineren Jungen warteten verängstigt und schlaftrunken im Flur. »Geh nicht«, sagte Davey.
    »Ich kann nicht bleiben. Nicht in dieser Klapse.« Carolee drückte ihn flüchtig mit einem Arm an sich und ging dann nach draußen, wobei ihr der Koffer bei jedem Schritt gegen die Knie schlug. Sie marschierte zielstrebig an Ray und Starr vorbei, ohne auch nur einmal den Kopf zu drehen, schritt auf ihren hohen Absätzen über den Hof und ging die Straße hinunter, wurde kleiner und kleiner.
    Ich blickte ihr lange nach und versuchte, mir ihre Schultern und ihren langbeinigen Gang einzuprägen. So liefen Mädchen von zu Hause weg. Sie packten ihre Koffer und schritten auf hochhackigen Schuhen davon. Sie verbissen sich die Tränen und ließen sich nicht anmerken, dass dies der schlimmste Tag ihres Lebens war. Als wünschten sie sich nicht in Wahrheit, dass ihre Mütter hinter ihnen herliefen und sie um Verzeihung baten. Als würden sie nicht auf die Knie fallen und Gott danken, wenn sie nur bleiben könnten.
    Mit Carolees Weggang hatte Starr etwas Wesentliches verloren, etwas, was sie dringend brauchte, so wie ein Künstlicher Horizont ein Flugzeug davor bewahrt, sich zu überschlagen, oder ein Tiefenmesser, der einem anzeigt, ob man tiefer taucht oder nach oben steigt. Manchmal wollte sie plötzlich tanzen gehen, dann wieder zu Hause bleiben und herumjammern, dann wieder wurde sie ganz lieb und rührselig, wollte einen auf Familie machen, spielte Spiele und buk Brownies, die anbrannten. Man wusste nie, woran man gerade war. Eines Abends aß Peter ihre Kasserolle nicht, worauf sie seinen Teller nahm und über seinem Kopf ausleerte. Und dabei wusste ich genau, dass es in Wahrheit meinem Trotz, meiner Sünde galt. Ich nahm alles hin und sagte keinen Ton.
    Wenn ich bloß nie etwas mit Ray angefangen hätte. Ich hatte sie von ihrer Entzugsmaßnahme abgebracht. Ich war die Schlange im Garten.
    Doch dieses Bewusstsein reichte nicht aus, um mich aufzuhalten. Ich hatte den Virus. Ray und ich liebten uns in den Neubauten, wir trieben es in seiner

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