Weisser Oleander
deckte ich das Waschbecken mit Zeitungspapier ab und begann ihr Haar durchzukämmen. Es war ungefähr so, als ob man verhedderte Spaghetti zu entwirren versuchte. Ein kräftiger Ruck, und alles würde auf einmal ausgehen. Ich begann mit den Haarspitzen und arbeitete mich langsam nach oben; dabei musste ich daran denken, wie ich abends immer das Haar meiner Mutter gebürstet hatte. Es hatte geglänzt wie Kristallglas.
Marvel redete in einem fort, über ihre Freundinnen, über die Kundinnen, denen sie zu Hause Mary-Kay-Kosmetik verkaufte, über irgendetwas, was eine Frau in der Oprah-Winfrey-Show gesehen hatte. Nicht etwa, dass Marvel selbst sich Oprah Winfrey anschaute, sie sah bloß die Sally-Jessy-Show, denn Oprah war ein fettes Niggerweib, nicht gut genug, Marvels Fußböden zu scheuern, obwohl sie zehn Millionen im Jahr verdiente, bla bla bla. Ich tat so, als ob sie Ungarisch sprach und ich kein Wort verstand, während ich die Gummihandschuhe überzog und den Inhalt der beiden Flaschen mischte. In dem kleinen, fensterlosen Badezimmer war der Geruch nach Ammoniak beinahe unerträglich, doch Marvel erlaubte mir nicht, die Tür zu öffnen. Ed sollte nicht erfahren, dass sie sich die Haare färbte.
Ich teilte einzelne Haarsträhnen ab, strich Bleichmittel auf die Ansätze und stellte die Uhr ein. Wenn ich die Mixtur zu lange auf dem Kopf ließ, würde sie riesige, schrundige Stellen in ihre Kopfhaut fressen, und ihr ganzes Haar würde ausfallen. Ich dachte mir zwar, dass das sicher interessant wäre, andererseits wusste ich aber, dass es noch viel schlimmere Pflegestellen gab als das Heim der Turlocks. Wenigstens trank Marvel nicht, und Ed war unattraktiv und nahm kaum Notiz von mir. Hier konnte ich nicht viel Schaden anrichten.
»Das ist eine gute Übung für dich«, sagte Marvel, während wir die letzten fünf Minuten warteten, bevor ich die Farbe in die Spitzen einmassieren konnte. »Du könntest auf eine Kosmetikschule gehen. Das ist kein schlechter Job für eine Frau.«
Marvel Turlock hatte anscheinend große Pläne für mich. Machte sich Sorgen um meine Zukunft. Lieber hätte ich das Bleichmittel ausgetrunken. Über ihr hängend wie ein Felsen, spülte ich die Tönung aus. Sie zeigte mir eine Seite in einer Frisurenzeitschrift, eine Schemazeichnung, die so knifflig war wie ein elektrischer Schaltplan. Der Schnitt hieß »Die Kosmopolitin«. An den Seiten aufgetürmt, hinten lockig und vorn ein gekräuselter Pony, wie ihn Barbara Stanwyck in »Hier ist John Doe« getragen hatte. Ich musste an Michael denken, wie er wohl bei diesem Anblick schaudern würde. Er hatte die Stanwyck verehrt. Ich fragte mich, wie »Das Schottische Drama« wohl lief. Ich hätte gern gewusst, ob er je an mich dachte. Du könntest dir nicht im Entferntesten vorstellen, wie es ist, Michael.
Während ich die Haarsträhnen auf Lockenwickler drehte, machte das klebrige rosa Frisiergel den Gestank im heißen Bad auch nicht besser. Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Kaum hatte ich ihr die Haare fertig aufgedreht, schlang ich das Tuch über ihre rosa Wickler und durfte endlich die Badezimmertür öffnen. Es kam mir vor, als hätte ich seit einer Stunde nicht mehr richtig geatmet. Marvel ging in Richtung Wohnraum. »Ed?«, hörte ich sie rufen.
Der Fernseher lief, doch Ed hatte sich in die Good-Knight-Bar verkrümelt, wo er Bier trank und sich das Spiel im Pay- TV ansah.
»Mistkerl«, sagte sie ohne Bitterkeit, schaltete zu einer Talkshow um, in der es um mittelalte Schwestern ging, und ließ sich mit einer Packung Eis auf dem Sofa nieder.
Liebe Astrid,
du brauchst mir nicht zu erzählen, wie sehr du deine neue Pflegestelle hasst. Du kannst von Glück reden, dass sie dich nicht schlagen! Einsamkeit ist das Los der Menschheit. Kultiviere sie. Während sie dich aushöhlt, gibt sie gleichzeitig deiner Seele Raum zum Wachsen. Erwarte nie, die Einsamkeit zu überwinden. Hoffe nie darauf, dass du Leute findest, die dich verstehen, jemanden, der diese Leere ausfüllen kann. Ein intelligenter, sensibler Mensch ist eine Ausnahme, die ganz große Ausnahme. Wenn du darauf hoffst, Leute zu finden, die dich verstehen, wirst Du fürchterlich enttäuscht werden. Besser lernst Du, Dich selbst zu verstehen, zu erkennen, was du vom Leben willst, und lässt nicht zu, dass dir das Vieh im Wege steht.
Muh.
Es war mir nicht in den Sinn gekommen, dass mir das Schlimmste noch bevorstehen könnte, bis mein Rezept auslief. Ich hatte dummerweise meine Dosis
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