Weisser Oleander
seine Radkappen aus, um den Morgentau einzufangen, trinkt Kühlwasser und gräbt sich bis zum Hals in den Sand ein. Dann macht man sich in der Abenddämmerung auf den Weg und verfolgt seine Spuren zurück. Der Himmel über einem wäre voller Sterne. Man braucht eine Taschenlampe, einen Kompass, und man muss schon vorher darauf geachtet haben, welchen Weg man gekommen ist.
Davey hatte über all diese Dinge Bescheid gewusst. Plötzlich wusste ich, dass auch er überleben würde.
In der langen Dämmerung des sich dahinschleppenden Tages begann ich, Abendessen zu kochen, und dachte dabei an die Wüste. Als ich mir gerade vorstellte, wie ich mich bis zum Hals in den Sand eingrub, hörte ich das mechanische Schnurren, mit dem die Corvette der Nachbarin in die Auffahrt einbog. Ich blickte gerade noch rechtzeitig auf, um sie zu sehen: eine auffällig attraktive Schwarze, die ein weißes Leinenkostüm trug. Ich hatte sie erst ein paarmal gesehen, wenn sie ihre Zeitschriften aufsammelte oder wenn sie abends, in Seide und Perlen gekleidet, ihr Haus verließ. Sie sprach nie mit uns oder sonst irgend-jemandem aus der Nachbarschaft.
Marvel hatte ihr Auto ebenfalls gehört, ließ die Flasche stehen, die sie gerade für Caitlin vorbereiten wollte, und starrte mit wütendem Blick über meine Schulter nach draußen. »Die alte Nutte! Meint, sie sei die Herzogin von Windsor! Ich könnte kotzen, wenn ich sie sehe!« Wir beobachteten, wie die Nachbarin zwei kleine Einkaufstüten mit Lebensmitteln aus dem Feinkostladen aus ihrem champagnerfarbenen Sportwagen lud.
»Mami, Saft !«, plärrte Caitlin und zerrte an Marvels T-Shirt.
Marvel entriss dem Kind das T-Shirt. »Lass dir bloß nie einfallen, dich mit ihr zu unterhalten!«, sagte sie zu mir. »Gott, ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als das hier eine respektable Nachbarschaft war. Aber jetzt wohnen ja die Schwarzen hier und die Nutten, die Chinesen und die Bohnenfresser mit ihren Hühnern im Garten! Ich frage mich, was noch alles kommen soll!«
Es ärgerte mich, dass Marvel mir diesen ganzen Kram erzählte, gerade so, als sei ich mit ihr einer Meinung, als gehörten wir einer Art arischem Geheimbund hier im San Fernando Valley an. »Ich mache den Saft fertig«, sagte ich. Ich wollte nicht mal in ihrer Nähe stehen.
Während ich den Saft mixte, beobachtete ich die Nachbarin, die stehen blieb, um die Zeitschriften von ihrer Veranda aufzuheben, und sie in ihre Einkaufstasche schob. Sie trug weiße Sling-pumps mit schwarzen Spitzen, wie die Hufe eines Hirsches.
Dann verschwand sie in dem Haus mit den geschlossenen Fensterläden. Es tat mir Leid, dass sie weg war, andererseits war ich froh, dass sie Marvels Gehässigkeiten keine Angriffsfläche mehr bot; Marvels Gerede, das rauchte und stank wie heißer Teer, wenn es zwischen ihren Lippen hervorquoll. Ich fragte mich, ob die Frau im Leinenkostüm wohl dachte, dass wir alle so seien wie Marvel, dass auch ich so war. Wahrscheinlich. Mir wurde ganz schlecht, wenn ich mir das vorstellte.
Marvel nahm den Saft, füllte die Flasche und gab sie Caitlin, die davonwackelte und ihr Lieblingssamtkissen an sich presste, auf das »Guam« gestickt war. »Braust in diesem Schlitten durch die Gegend«, murrte Marvel. »Protzt damit vor uns anständigen Leuten rum. Als ob wir nicht genau wüssten, wie sie ihn sich verdient hat! In der Horizontale nämlich!«
Das Auto glänzte wie die Flanken eines Mannes, weich und muskulös, geschmeidig. Am liebsten hätte ich mich auf die Motorhaube gelegt; ich dachte mir, dass ich wahrscheinlich vom bloßen Daraufliegen kommen könnte. Ich starrte am Carport vorbei auf die Tür, hinter der sie verschwunden war, und wünschte mir, dass ich den ganzen Abend nichts zu tun hätte und nur am Fenster stehen und abwarten könnte, ob sie wieder herauskommen würde.
Nachdem das Geschirr gespült und die Kinder ins Bett gebracht worden waren, schlich ich durch die Seitentür hinaus und stellte mich neben ihren Jacarandabaum, der seine violetten Blüten über den Zaun auf Marvels asphaltierten Hof fallen ließ und seinen Duft in die laue Nacht sandte. Musik sickerte durch die Fensterläden nach draußen, eine Sängerin. Zuerst dachte ich, sie sei betrunken, doch dann wurde mir klar, dass sie bloß ihre eigene Art hatte, mit Worten umzugehen; sie spielte mit ihnen und ließ sie im Mund herumgleiten wie Kirschpralinen.
Ich wusste nicht, wie lange ich in der Dunkelheit gestanden und mich zu dieser Musik hin und her
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