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Weißer Schatten

Titel: Weißer Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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und stellte halbkünstlerische Schmuckstücke her, die sie auf dem Greenmarket Square verkaufte, trug wallende
     Kleider, Sandalen und farbige Bänder im Haar. Nannte sich Olga, Natascha oder Alexandra. Rauchte ein bisschen Hasch, schlief
     ein bisschen herum. Fühlte sich nicht erfüllt.
    Zog nach Greyton, arbeitete in einem kleinen Hotel, begann leidenschaftlich in den Bergen zu wandern, wurde eins mit der Natur
     und der Gaia-Theorie. Sie lehnte zwei Angebote ab, mit älteren Frauen zusammenzuziehen, und befand Liebe zur nicht-verhandelbaren
     Voraussetzung, um mit einem Mann zu schlafen. Das passierte selten. Innerhalb eines Monats bezeichnete sie die stetigen Bewohner
     als »wir« und die Wochenendgäste als »die«. Als die Stadt zu »kommerziell« wurde, zog sie zum nächsten neuen »In«-Ort, Darling
     an der Westküste oder Clarens im Freistaat oder irgendwo in den Natal Midlands. In diesen Jahren sprach sie nur Englisch in
     einem letzten Bemühen, sich zu verändern – bis sie mit vierzig, desillusioniert und leer, eine Pilgerreise zu ihren Wurzeln
     unternahm, zurück ins Lowveld. Sie kommen nach der letzten Bestandsaufnahme immer zurück; es ist ein verzweifelter Versuch,
     die verlorenen Jahre zurückzugewinnen, den alten Träumen neues Leben einzuhauchen. Vielleicht hatte der unauffindbare Seelenbruder
     die ganze Zeit nur hier gewartet, wo alles begonnen hatte.
    Irgendwann in den kommenden Jahren würde Tertia ihre Standards senken und ja zu dem kleinwüchsigen Geschäftsmann mittleren
     Alters sagen oder dem bierbäuchigen Farmer, der schon so lange heiß auf sie war. Damit sie nicht alleine alt werden musste.

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    Tertia forderte mich nicht noch einmal auf, sie einzuschätzen, denn das Restaurant füllte sich. Jemand drehte die Musik auf
     – Pop aus den Siebzigern. Sie stellte auf dem Weg eine Schüssel Erdnüsse ab und rief mir zu: »Wir müssen es morgen Abend versuchen.«
     Sie zwinkerte. Zehn Minuten später nahm eine zweite Bardame den Dienst auf, zehn Jahre jünger als Tertia, obwohl ich vermutete,
     dass die Geschichte ihres Lebens nicht bemerkenswert anders verlaufen war. Rotes Haar und Sommersprossen, kleinere Brüste.
     Sie kompensierte diesen Makel, indem sie keinen BH trug. Größere Ohrringe. Die beiden arbeiteten gut zusammen, waren einander
     nie im Weg.
    Ich rutschte an die Ecke, um den Leuten Platz zu machen. Ich beobachtete. Die Entschlossenheit, mit der die Leute tranken,
     die wilde Jagd nach dem Vergnügen. Ich habe diese Begeisterung für Silvester noch nie verstanden, aber vielleicht auch nur,
     weil ich es so lange allein oder mit Mona verbracht habe. Oder einfach nur nicht die Festlichkeit des Anlasses begriff. Ein
     weiteres mittelmäßiges Jahr war vorüber – verschwunden, verloren. Ein neues stand bevor.
    Ich wollte gehen. Ich konnte hier nicht nachdenken.
    Ich hatte kein Bett für die Nacht.
    Ungefragt brachte Tertia mir einen Teller mit etwas zu essen. Ich bedankte mich und fragte sie, ob ich ein Chalet für die
     Nacht mieten könnte. Sie konnte mich nicht hören. Sie musste ihr Ohr an meinen Mund drücken. Ich fragte noch einmal. Ihre
     Haut glänzte, und ich roch ihren Schweiß und die Zigaretten. Sie lachte und runzelte gleichzeitig die Stirn. »An Silvester?«
     Dann lief sie davon, um vier Bier an einen Tisch zu bringen.
    |269| Ich aß den am Spieß gebratenen Hammel mit Kartoffeln, Bohnensalat, Käsebrötchen und Traubenmarmelade. Es wurde immer lauter.
     Tertia kam wieder vorbei und warf mir einen Schlüssel hin. Der Schlüsselring war ein silberner Delphin mit einem blauen Steinchen
     als Auge. Sie beugte sich über den Tresen, den Mund an mein Ohr. »Die Straße runter an den Garagen vorbei. Die letzte Hütte
     links, mit der blauen Tür. Nimm das Zimmer mit dem Einzelbett.«
    Dann verschwand sie wieder.
     
    Ich hielt meine schwarze Sporttasche in der Hand und schloss die blaue Tür auf.
    Eine Lavalampe glühte in einer Ecke, das orangefarbene Licht warf lange Schatten durchs Wohnzimmer. Es gab viel zu sehen.
     Dunkelblaue und grüne Stoffe mit zierlichen indianischen Mustern schwebten von der Decke bis zur Wand, Vorhänge waren mit
     Gemälden, Skizzen und Zeichnungen verziert. Mystische und phantastische Figuren, Einhörner und Zwerge. Prinzessinnen mit unglaublich
     langen Haaren. Jedes Bild war in großen runden Buchstaben signiert:
Sasha
.
    Ich hatte Unrecht gehabt mit Töpfern oder Schmuck. Tertia war eine Malerin, keine besonders gute, aber

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