Weißer Schatten
Scheune gesehen?
Ich setzte mich mit meinen Twinkies und meinem Energade hin. Ich konnte mich nicht entspannen. Ich musste aufmerksam bleiben,
einsatzbereit.
Am Tag, an dem Emma und ich dort gewesen waren, war es dämmrig gewesen in der Scheune, das einzige Licht drang durch die Doppeltür.
Es standen Stahlregale an den Wänden, große Tonnen mit Diesel oder Öl, Werkbänke mit Ersatzteilen, öligen Lappen, Dosen und
Büchsen, Muttern und Bolzen, Werkzeuge und …
Ich griff nach einer Flasche Energade und nahm einen Schluck. Schloss die Augen und konzentrierte mich.
Auf der Werkbank zwei Meter von Moller entfernt, hatten ein Vergaser und die Abdeckung eines Luftfilters mit dem kaputten
Filter daneben gelegen, und … da stand ein Tablett.
Ein altes rotbraunes Tablett mit einem Korkboden, einer Zuckerdose und Kaffeebechern, das war mir aufgefallen.
Die Kaffeebecher.
Warum?
Weil es drei gewesen waren. Drei Kaffeebecher, zwei leer, einer halbvoll.
Im dunklen Wald erhob ich mich, die Flasche in der einen Hand, die Glock in der anderen.
Hier gibt es nur Septimus und mich, keine anderen Angestellten.
Das hatte Stef Moller gesagt, aber da standen drei hässliche braune Kaffeebecher, aus denen die Teelöffel ragten, und jemand
hatte seinen Kaffee nicht ausgetrunken. Zwei Leute, drei Becher – das passte nicht. Es war noch jemand anders in der Scheune
gewesen, als Emma vom Tor aus angerufen hatte. Jemand, der nicht gesehen werden sollte.
Ich sammelte meine Sachen ein und begann zum Haus zu laufen. Ich hatte eine gute Vorstellung davon, wer die dritte Person
gewesen war.
|318| Ich vermutete, er war immer noch in Heuningklip. Das war es, weswegen Stef Moller mich anlog.
Es dauerte fast drei Stunden, die zweihundertfünfzig Kilometer nach Heuningklip zu fahren. Schwere Laster waren auf den Bergpässen
unterwegs, und die scharfen Kurven am Hang waren in der Nacht kaum zu sehen.
Ich fuhr durch Nelspruit und fragte mich, wie es Emma ging. Ich wollte am liebsten einen kurzen Umweg machen, um ihre Hand
zu halten, mit ihr zu reden. Ich wollte sie fragen, was sie sich gedacht hatte, als sie des Nachts neben meinem Bett gestanden
hatte, aber ich wollte auch, dass sie schwieg, damit die Möglichkeit verschiedener Antworten bestehen blieb.
Ich bog knapp hinter dem Suidkaap River rechts auf die R38 und dachte an Stef Moller, den schüchternen Reichen. Melanie Posthumus
hatte gesagt:
Er ist ein Milliardär, der lauter Farmen gekauft hat, aber keiner weiß, wo sein Geld herkommt.
Woher hatte er das Geld? Und was konnte er damit kaufen?
Ich hatte mich in eine Sackgasse gedacht. Ich hatte es satt, zu grübeln, ich wollte Action. Ich wollte Antworten, die die
ganze Sache klärten, die den dunklen Vorhang von Verrat und Lügen hoben und helles Licht auf alles warfen, damit ich wusste,
wen ich am Hemd packen und wem ich die Faust ins Gesicht schlagen musste, wem ich sagen würde: »Jetzt erzähl mir alles.«
Auf der R541 hinter Badplaas musste ich langsamer werden, um das Tor zu Heuningklip im Dunkeln nicht zu übersehen, denn es
war kein Angebertor, bloß ein geisterhaftes Naturschutzgebiet hinter dem hohen Wildzaun. Ich fuhr einen Kilometer an dem kleinen
Schild vorbei, dann parkte ich den Audi, soweit es das lange Gras zuließ, von der Straße entfernt. Ich stieg aus, schob die
Glock in meinen Gürtel und sah auf die Uhr. Viertel vor drei morgens. Gestapozeit.
Ich kletterte über das Tor, das drei Meter hoch war. Ich würde dem Weg folgen müssen. Ich konnte es nicht riskieren, mich
im Dickicht zu verlaufen. Außerdem könnte es Löwen |319| geben. Melanie Posthumus hatte gesagt, Cobie habe ihr erzählt, wenn Moller siebzigtausend Hektar Land besitze, werde er Löwen
und wilde Hunde aussetzen. Das war ein paar Jahre her.
Die Straße wand sich drei Kilometer bis zu dem kleinen Haupthaus und den Nebengebäuden. Ich fühlte mich verwundbar, aber auf
beiden Seiten war das Gras zu hoch und undurchdringlich. Ich ging mit einer Hand auf der Pistole und lauschte auf die Geräusche
der Nacht. Ich hörte eine Hyäne kichern, einen Schakal heulen. Hunde bellten in der Ferne. Ich wusste nicht, ob wilde Hunde
bellten, ich wusste nur, dass sie in Rudeln jagten, dass sie ihre Beute meilenweit hetzten und Stücke aus ihr herausrissen,
bis sie vor Blutverlust und Erschöpfung zusammenbrach. Dann begann das ganze Pack mit einer Fressorgie.
Ich ging schneller, ich hielt mich auf der Erhebung
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