Weißer Schatten
arbeite nicht dort.
Ich sagte, das sei die Sekretärin von Mr. le Roux, und sie meinte, die Sekretärin sei schon die letzten fünf Jahren Mrs. Davel.
›Entschuldigen Sie, ich muss ans Telefon, Mr. le Roux ist in zwei Wochen wieder zurück, tut mir leid.‹
Ich fragte, ob er zu Hause sei. Sie hatte es eilig, sagte aber: ›Nein, sie sind nicht zu Hause, entschuldigen Sie mich, Mister.‹
Ich wusste auch nicht, was ich machen sollte, also wandte ich mich um und ging. Und dann habe ich eine Dummheit begangen,
eine wirklich große Dummheit.«
Er hatte ein Zimmer in einem Gästehaus in Randburg gefunden, nur ein paar Kilometer vom Wohnhaus seiner Familie entfernt,
und lag den ganzen Nachmittag auf dem Bett und dachte nach. Dann stand er auf und rief die Privatnummer an, nur um herauszufinden,
ob sie vielleicht doch dort waren.
Die Stimme seiner Mutter auf dem Anrufbeantworter. »Wir können Ihren Anruf nicht entgegennehmen. Bitte versuchen Sie es auf
dem Handy. Die Nummer lautet …« Er hatte den Hörer hingelegt und saß zitternd auf dem Bett, denn er hörte |382| zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt die Stimme seiner Mutter, und sie klang noch ganz genauso, als hätte er sie gestern das
letzte Mal gesehen.
Dann rief er noch einmal an und lauschte, wieder und wieder, bis er die Handynummer auswendig konnte. Der Drang wuchs, und
er begann über Handys nachzudenken. Sie konnten ein Handy nicht anzapfen, denn es gab keine Drähte und auch keinen Platz für
Wanzen. Wenn er vorsichtig war, wenn er bloß fragte, wo sie waren, dann wäre es ungefährlich. Er würde einfach so tun, als
wäre er jemand anders.
»Ich konnte nicht schlafen. Die ganze Nacht überlegte ich nur, was ich sagen würde. Ich war genau vorbereitet. Ich schlug
in den Gelben Seiten den Namen einer Firma nach, eines Stahlhändlers, und entschied mich, ich würde sagen, ich sei van der
Merwe von Benoni Steel, und ich würde gern mit ihm reden, weil ich Geschäfte mit ihm machen wollte, und wann sie zurückkämen.
Um neun am nächsten Morgen rief ich an, und meine Mutter meldete sich. Sie sagte: ›Sara le Roux hier, guten Morgen.‹ Ich wollte
in Tränen ausbrechen, ich wollte sagen: ›Hallo, Ma, ich bin’s, Ma.‹ Sie sagte: ›Hallo?‹ Und ich sagte: ›Guten Morgen, Madam,
darf ich bitte mit Johan le Roux sprechen?‹ Sie sagte nichts. Und ich sagte: ›Hallo? Mrs. le Roux?‹
Dann sagte meine Mutter: ›Lieber Gott, Jacobus.‹ Ich erschrak. Ich konnte nicht anders. Ich wollte weinen. Meine Mutter –
sie erkannte meine Stimme nach elf Jahren, sie wusste, dass ich es war. Dann weinte ich tatsächlich, ich konnte nicht anders,
und ich sagte: ›Ma‹, und sie sagte: ›Mein Sohn, o Gott, mein Junge.‹
Aber ich hatte so schreckliche Angst und legte auf, nahm meine Sachen und ging.
Am nächsten Nachmittag kaufte ich mir ein Handy und rief sie wieder an. Sie ging aber nicht ran, sondern die Polizei in Willowmore.
Sie sagten: ›Es tut uns sehr leid, Sir, Mrs. le Roux ist tot. Sie und Mr. le Roux, hier in Perdepoort auf der N9.«
|383| 45
Ich kannte Typen wie Eric.
Sie stammten aus der grauen Masse der Mittelklasse, immer etwas größer und kräftiger als die anderen. In der Schule waren
sie gefangen im Niemandsland zwischen den Klugen und den Sportlichen. Die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb, um respektiert
zu werden, war durch körperliche Bedrohung. So machte man Schlägertypen.
Instinktiv wussten sie, dass diese Strategie in der Erwachsenenwelt nicht aufgehen würde. Also schlossen sie sich der Polizei
oder dem Militär an, wo eine Uniform diesen Mangel kompensierte. Dann entdeckten sie die Macht der Schusswaffen und wurden
süchtig danach. Aber das Gehalt, die Arbeitsbedingungen, die mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten und die stetige Erinnerung
daran, dass sie immer noch zur Mittelklasse gehörten, frustrierten sie zutiefst. Nach vier oder fünf Jahren hielten sie Ausschau
nach den Möglichkeiten der Privatwirtschaft, aber sie hörten nie damit auf, ihre Geschichte zu erzählen – wie hart und einsatzfreudig
sie bei der Truppe gewesen waren. Jeder musste erfahren, wie mutig sie waren, wie knallhart und stark – wie viele Typen sie
zusammengeschlagen hatten, wie viele sie erschossen hatten.
Sie glaubten ihrem eigenen Ruf, denn in Gruppen von fünf oder sechs konnten sie auf Frauen losgehen, schwarze Wachmänner foltern
und Naturschützer gehobenen Alters in Löwenkäfige werfen.
Weitere Kostenlose Bücher