Weißer Schatten
schüttelte den Kopf. »Emma … Sie müssen das verstehen. Wir fragen die Leute nicht nach ihrem Lebenslauf, wenn sie
herkommen und arbeiten wollen; die meisten von ihnen bleiben nicht lange. Wir … es gibt immer reichlich Freiwillige. Sie machen
die Tour mit und sind ganz begeistert, vor allem die jungen Leute und die Touristen. Es ist eigenartig, ich glaube, die Kirchen
kennen das auch. Ich sage allen von Anfang an, Kost und Logis sind frei, aber wir zahlen nichts. Du arbeitest hier, und dann
sehen wir, wie es läuft. Wir brauchen die Hilfe, aber sie bleiben nicht. Zwei Monate Vogelkacke aus den Käfigen schaufeln
und stinkende Kadaver raus ins Geier-Restaurant zerren, dann strahlen ihre Augen nicht mehr, sie fangen an, sich Entschuldigungen
abzuringen, und dann ziehen sie weiter. Aber Cobie nicht. Der war drei, vier Tage hier, und ich wusste, er würde bleiben.«
»Haben Sie ihn … nach einem Lebenslauf gefragt?«
»Für einen Job, der unbezahlt ist?«
»Hat er sechs Jahre ohne Gehalt gearbeitet?«
Wolhuter lachte. »Natürlich nicht, aber als wir anfingen, ihn zu bezahlen, kannte ich ihn. Der Charakter eines Mannes verrät
einem mehr als sein Lebenslauf.«
»Wo war er, bevor er anfing, hier zu arbeiten?«
|91| »Er hat für einen Mann in der Nähe der Swasi-Grenze gearbeitet. Heuningrand
…
Heuningklip«, sagte Branca. »Stefan Moller. Stef. Multimillionär, aber er macht phantastische Arbeit.«
»Was für Arbeit?«
Wolhuter sah Branca an. »Da weißt du mehr als ich, Donnie.«
Branca zuckte mit den Achseln. »Es gab einen Artikel in
Africa Geographic
… Dass Moller drei oder vier Farmen in der Nähe des Songimvelo Game Reserve gekauft hat. Totes Land, zu viel Vieh, zu viele
Ernten, erodiert, außerdem lag eine Menge Schrott herum. Moller hat reichlich Geld ausgegeben, um das in Ordnung zu bringen.
Er nannte es ›Heilung des Bodens‹, irgendwas in der Art. Jetzt ist es ein privates Naturschutzgebiet.«
»Und Jacobus hat dabei geholfen?«
»Soweit ich weiß. Cobie …« Branca zuckte wieder mit den Achseln. »Er hat nicht viel erzählt. Er hat nur gesagt, dass er dort
war.«
»Was hat er noch gesagt?«
Nach einem unangenehmen Schweigen versuchte Wolhuter zu erklären: »Emma, ich weiß ja nicht, wie das in Kapstadt ist, aber
hier respektieren wir das Recht eines Mannes, seine Angelegenheiten für sich zu behalten. Oder auch nicht. Donnie und ich
sind anders. Wir wollen reden. Manchmal habe ich es satt, meine eigenen Geschichten zu hören. Ich war mein ganzes Leben lang
Wildhüter für das Natal Parks Board, und wenn Sie sich heute Abend mit mir ans Feuer setzen, erzähle ich Ihnen Geschichten,
bis die Sonne aufgeht. Donnies Vorfahren stammen aus Portugiesisch-Mosambik, und das ist eine interessante Story für sich.
Donnie kann sie toll erzählen. Aber Cobie … ist anders. Er sitzt da, und wenn ich was von den Tieren erzähle, saugt er jedes
Wort auf, sodass es manchmal fast unangenehm ist. Dann stellt er Fragen, ohne Pause, bis es unhöflich wird. Als wollte er
einen aussaugen, alles hören, alles lernen. Aber wenn wir über andere Dinge reden, |92| klinkt er sich aus, er steht einfach auf und geht. Es interessiert ihn schlicht nicht. Ich habe lange gebraucht, um mich daran
zu gewöhnen. Wir erzählen alle etwas von uns – die meisten jedenfalls. So lassen wir die Welt wissen, wer wir sind oder wer
wir gern wären. Cobie nicht. Ihm ist ziemlich egal, wie die Leute ihn wahrnehmen. Er lebt in einer kleinen Welt … eindimensional
… und Menschen sind kein Teil dieser Dimension.«
»Cobie mag die Menschen nicht …«, sagte Branca.
Emma wartete darauf, dass er das erklärte.
»Er bezeichnet die Menschen als die größte Plage, die dieser Planet je erlebt hat. Er sagt, es gebe zu viele Menschen, aber
das sei nicht wirklich das Problem. Er sagt, wenn ein Mensch sich entscheiden muss zwischen Reichtum und Erhaltung der Natur,
wird der Reichtum immer siegen. Wir werden immer Ausbeuter bleiben, das wird sich niemals ändern.«
»Deswegen wissen wir so wenig über Cobie. Ich kann Ihnen sagen, dass er irgendwo in Swasiland aufgewachsen ist; ich glaube,
sein Vater war Farmer, denn dann und wann erwähnte er eine Farm. Ich weiß, dass er nur Abitur hat. Und er hat für Stef Moller
gearbeitet, bevor er hierherkam. Das ist alles, was ich weiß.«
»Und es gab eine Freundin …«, sagte Branca.
Emma richtet sich auf. »Eine Freundin? Wo?«
»Als er
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