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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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murmelte er fast schon erleichtert. Robert probierte es ebenfalls, doch auch er scheiterte. »Na gut, dann soll es wohl nicht sein.« Sie wandten sich zu Niklas um und wollten bereits zurückgehen, als es hinter ihnen klickte. Überrascht starrten die Jungs erst die Tür und dann sich an.
    »Das Schloss war wohl eingerostet«, flüsterte Andreas irritiert. Robert antwortete nicht; er streckte zögernd die Hand aus und drückte die Klinke nach unten. Knarrend schwang der rechte Türflügel auf. Ihnen schlug eine trockene Luft entgegen, die nach Mörtel und Moder roch.
    Robert atmete tief ein. »Letzte Gelegenheit, die Sache abzublasen.«
    Andreas fröstelte, zugleich beschlich ihn eine eigentümliche Aufregung. »Und wie stehen wir dann vor Niklas da? Komm, wir gehen kurz rein, riskieren einen schnellen Blick und hauen dann wieder ab, okay? Wird schon nicht so schlimm werden.« Entschlossen nahm er die Taschenlampe zur Hand und zog Robert mit sich in die Leichenhalle. Auch hier war es kalt, und es hallte leicht. Erst als sie die Tür wieder zugezogen hatten, traute er sich, die Taschenlampe anzuknipsen. Das Licht fiel direkt auf einen Sarg aus einfachem Nadelholz. Er stand inmitten der kleinen Halle auf einer altertümlichen Totenbahre, die über Räder und Schiebegriff verfugte und einen scharfen Schlagschatten an die Wand warf. Mit einem mulmigen Gefühl ließ Andreas den Lichtstrahl weiter über die gekachelten Wände der Halle wandern. Das umlaufende Band mit christlichen Sprüchen war nahezu verblasst, und lediglich ein schlichtes Kreuz zierte die kahlen Wände. In einer Ecke befand sich ein kleines Waschbecken samt schmalem Tisch, auf dem eine metallene Schüssel, ein Fön und einige andere Gegenstände lagen. Andreas ahnte, wofür die Männer den Fön gebraucht hatten.
    »Sieh mal!« Robert deutete nach oben zur Decke. Dort war ein Loch zu sehen, aus dem ein dünnes, faseriges Seil baumelte, das unten in einem grünstichigen Kupferring auslief. »Was ist das?«, wisperte Andreas.
    »Ein Glockenzug«, flüsterte Robert. »Zu der Glocke oben auf dem Dach. Den Ring haben sie früher an die Zehen der Toten gebunden. Nur für den Fall, dass der Tote gar nicht tot war. Die wollten damit verhindern, dass sie versehentlich jemand lebendig begruben. Ganz früher gab es hier in Perchtal sogar einen Leichenwärter, der darauf achtete, dass die Glocke über uns auch nicht bimmelt.«
    Andreas stellte sich unwillkürlich vor, wie es wohl wäre, in dieser verdammten Halle zu erwachen. Bekleidet nur mit einem dünnen Hemd, umgeben von Dunkelheit und gerade so in der Lage, mit dem großen Zeh zu zucken. Und wenn dieser verdammte Ring tatsächlich als notwendig erachtet worden war, wie viele Scheintote hatten sie dann früher unter die Erde gebracht, ohne dass sich diese Verzweifelten zuvor hatten bemerkbar machen können? Er hatte von Fällen gehört, bei denen Särge aus der Friedhofserde gehoben worden waren, deren Deckelinnenseite von den lebendig Begrabenen völlig zerkratzt gewesen waren. Ihm rieselte es kalt den Rücken herunter.
    »Toll. Genau die Information, die ich gebraucht habe«, stöhnte er. Er umrundete den Sarg langsam und biss sich auf die Lippen. »Also, bringen wir es jetzt hinter uns?«
    Robert nickte angespannt.
    Andreas legte seine Taschenlampe auf den Tisch neben dem Waschbecken und konnte so nun auch die anderen herumliegenden Utensilien erkennen, die allesamt von der zurückliegenden Untersuchung an der Leiche kündeten: Neben Fön und Schüssel waren dies ein Skalpell, eine lange Pinzette, Hammer und Meißel, zwei scharfe Messer, ein Spachtel sowie ein Kugelschreiber. Auf dem Boden neben dem Tisch stand sogar noch die halb geöffnete Arzttasche von Doktor Bayer. Entweder, der Arzt hatte sie hier vergessen, oder er war mit seiner Untersuchung noch nicht fertig. Egal, darum konnten sie sich später kümmern. Mit klopfendem Herzen stellten sie sich rechts und links vom Sarg auf und hoben den Deckel an. Erst als sie ihn heruntergewuchtet und gegen den Sarg gelehnt hatten, wagten sie es, mit der Lampe ins Innere zu leuchten. Der Anblick war erschütternd.
    Die Tote aus dem See sah aus wie eine Eisprinzessin. Kalt, schön und unnahbar. Soweit sie es erkennen konnten, war sie mit Parka und Cordhose bekleidet; der Großteil ihres regungslosen Körpers war noch immer von einem Eispanzer umschlossen, der im Licht der Lampe nasskalt funkelte. Allein auf Höhe des Kopfes, im Bereich des Rumpfs und bei den

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