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Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Uhrwerk. Ticktack. Tick-tack. Und sie tauchen nie wieder auf.« Er kramte in seiner Strickjacke und steckte sich einen alten Radiergummi in den Mund. »Auch einen Kaugummi?«
    Andreas schüttelte angeekelt den Kopf. Stattdessen beäugten er und Elke die Unterlagen. Im Dezember 1930 war ein Hubert Schaefer von der Schule nicht nach Hause gekommen. Er war zum Zeitpunkt seines Verschwindens 12 Jahre alt gewesen. Auf der Vermisstenmeldung stand der handschriftliche Vermerk »Messdiener«. 1898 vermeldeten alte Zeitungsberichte die erfolglose Suchaktion nach einem Benedikt Gruber, 15 Jahre, Sohn des damaligen Dorfarztes. Und 1882 war bei der königlich-bayrischen Gendarmerie in Berchtesgaden ein Nepomuk Roesner von seinen Eltern als abgängig gemeldet worden.
    »Wie kommen sie auf alle sechzehn Jahre?«, fragte Elke leise. »Zwischen 1898 und 1930 klafft ein große Lücke.«
    »Ja, denkt man«, murmelte der alte Hoeflinger und langte mit den Fingern in den Mund. Verärgert hielt er sich den angekauten Radiergummi vor die Augen. »Ha, so weit ist es schon gekommen«, wisperte er. »Jetzt versucht sie mich sogar zu vergiften.« Er steckte den angelutschten Radiergummi wieder in die Strickjacke und blinzelte. »Wo waren wir?«
    »Die Zeit zwischen 1898 und 1930«, half ihm Elke auf die Sprünge.
    »Ach ja. In Wahrheit ist im Dezember 1914 einer der Söhne der Schobers verschwunden. Ihr wisst schon, aus der Familie unseres hiesigen Bürgermeisters. Es hieß damals, er sei an den Masern gestorben. Aber ich habe Anfang der Sechziger in Bad Reichenhall einen alten Mann aufgespürt, der behauptet hat, 1914 in Perchtal als Totengräber gearbeitet zu haben. Und der versicherte mir, dass der Sarg des Buben leer war. Na, was schließen wir daraus?« Triumphierend hob er seinen Gehstock.
    »Dass es keine Leiche gab, weil er längst … verschwunden war?«, schlug Andreas vor.
    »Daraus schließen wir, dass die Schobers da mit drinhängen«, herrschte ihn sein Gegenüber an. »Die wollten das Verschwinden ihres Buben vertuschen. So sieht es aus, ha! Die und die Strobels, die sind die Köpfe der Verschwörung.«
    »Aber die beiden Pfarrer arbeiten doch erst seit 1945 hier in Perchtal.«
    Der alte Hoeflinger legte die Stirn in Falten und brabbelte leise vor sich hin. »Ist euch eigentlich klar«, fing er plötzlich an, »dass die Quersumme aus eins, neun, vier und fünf die eins ist? Eins und neun macht zehn. Eins und null macht eins. Plus vier und fünf, das ergibt wieder zehn, was wiederum eins macht. Ich frag mich bloß, was das zu bedeuten hat …?«
    Andreas betrachtete den Mann mitleidig. »Was passiert denn Ihrer Meinung nach mit den Kindern?«, versuchte er es noch einmal.
    »Weiß nicht«, der Alte leckte sich wieder über die Lippen. »Kinderhandel vielleicht. Missbrauch, sexuell. Widerliche Experimente. Vielleicht jagen sie die armen Kleinen durch die Wälder, allein zu ihrem perversen Vergnügen?« Elke keuchte entsetzt auf und umklammerte Andreas Arm. Doch der Alte ließ sich davon nicht beeindrucken. »Vielleicht auch alles zusammen? Wahrscheinlich zerstückeln sie die Leichen, damit man sie besser verschwinden lassen kann. Oben, in Bad Reichenhall, da soll es vor dem Krieg mal einen gegeben haben, der hat seine Opfer an Schweine verfüttert. Hier bei uns gibt es auch Wildschweine.« Andreas merkte, wie ihm die Kehle trocken wurde.
    »Sagen Sie, reichen diese Vermisstenmeldungen noch weiter zurück? Was ist mit …«, Elke rechnete kurz nach. »Was ist mit 1866?«
    »Nichts gefunden, zu lange her«, grummelte der Alte. »Damals befand sich Bayern an der Seite Österreichs im Krieg gegen Preußen. Ein chaotisches Jahr. Und davor, 1850, mag das im Zuge der großen Katastrophe hier in Perchtal untergegangen sein.«
    »Was für eine Katastrophe?«, fragte Andreas alarmiert.
    »In den alten Unterlagen ist von einer Cholera-Epidemie die Rede. Hat in Perchtal gewütet, als ob der Teufel selbst auf das Tal herabgefahren wäre. Damals sind hier im Ort alle Kinder krepiert.«
    »Wie bitte? Alle!?« Andreas sah den Greis entsetzt an. Doch der schlurfte bereits zu einem der Regale und zog einen Setzkasten hervor, in dem sich Plastikfiguren mit abgerissenen Ärmchen, alte Tischtennisbälle, Spielkarten, Murmeln und weitere herrenlose Fundstücke befanden.
    »Ich bin davon überzeugt, da gibt es ein Muster«, ächzte der Alte. Er stellte den Kasten auf die Unterlagen und befühlte die Objekte. »All das hier ist wie ein Puzzle. Da gibt

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