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Weisses Gold

Weisses Gold

Titel: Weisses Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Milton
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und selbst ein wohlhabender Kaufmann erzielte nur in guten Jahren ein Einkommen von über 40 Pfund. Um eine Sklavin auslösen zu können, brauchte man mehr Geld, als die meisten Londoner in ihrem Leben verdienten. Das erklärt, warum die Korsaren aus dem Maghreb an den Besatzungen und Passagieren größeres Interesse hatten als an der Ladung der gekaperten Schiffe.
    Casons finanzielle Mittel waren bald erschöpft, und er kehrte mit nur 244 befreiten Sklaven nach England zurück. Die in Algier zurückbleibenden Sklaven fürchteten, man habe sie ihrem Schicksal überlassen, und schrieben angsterfüllte Briefe an ihre Angehörigen. »Oh! Vater, Bruder, Freunde und Bekannte«, schrieb Thomas Sweet, »schickt rasch Hilfe, um uns zu retten.« Er hoffte, dass seine Seufzer ihnen zu Ohren kamen und ihr Mitgefühl und Erbarmen weckten, und schloss mit der flehentlichen Bitte: »Versagt uns nicht eure Gebete, wenn ihr sonst nichts tun könnt.«
    Die Korsaren aus den Barbareskenstaaten und Marokko hatten ihre Angriffe mittlerweile auf ganz Europa ausgeweitet und machten Jagd auf Schiffe aus so abgelegenen Ländern wie Norwegen und Neufundland. Die Küsten Portugals und Frankreichs wurden zum Ziel zahlreicher Überraschungsangriffe. Auch die italienischen Stadtstaaten wurden wiederholt überfallen, und die Küsten Kalabriens, Neapels und der Toskana litten unter besonders aggressiven Attacken. Auch Russen und Griechen gerieten in die Hände der Sklavenhändler, und dasselbe galt für Adlige und Kaufleute aus verschiedenen Teilen des Heiligen Römischen Reiches. Auf den Inseln Mallorca, Menorca, Sizilien, Sardinienund Korsika machten die Korsaren besonders reiche Beute, und die Bürger von Gibraltar wurden derart oft zum Ziel von Angriffen, dass sie in einer verzweifelten Bittschrift an den spanischen König die Tatsache beklagten, dass sie sich niemals sicher fühlten, »weder in der Nacht noch am Tag, weder im Bett noch am Mittagstisch, weder auf dem Feld noch in [ihren] Häusern«.
    Besonders verheerende Angriffe musste Spanien über sich ergehen lassen, und an der Atlantikküste dieses Landes wurden ganze Dörfer in die Sklaverei verschleppt. Noch schlimmer war die Situation an der spanischen Mittelmeerküste. Im Jahr 1637 verschleppten die Korsaren 315 Frauen und Kinder aus dem Ort Calpe. Bald war das Leben an der spanischen Küste so gefährlich, dass neue Steuern auf Fisch, Fleisch, Rinder und Seide eingeführt werden mussten, um den Bau von Befestigungsanlagen zu finanzieren. Wie sich herausstellte, waren diese jedoch nur von geringem Nutzen. Eine der baskischen Provinzen verlor bis zum Jahr 1667 so viele Seeleute an die Korsaren, dass ihre männliche Bevölkerung nicht mehr ausreichte, um ihren Anteil an Rekruten für die königliche Marine zu stellen.
    Die Korsaren aus dem Maghreb waren bei der Suche nach geeigneten Opfern nicht wählerisch und verschleppten sogar Händler und Seeleute aus den nordamerikanischen Kolonien. Im Jahr 1645 wurde ein mit 14 Kanonen bestücktes Schiff aus Massachusetts als Erstes aus den amerikanischen Kolonien von einem islamischen Piratenschiff angegriffen. Der Besatzung gelang es, den Angriff zurückzuschlagen, aber viele andere Seefahrer hatten weniger Glück. Nach 1660 gerieten zahlreiche Amerikaner in Gefangenschaft und endeten als Sklaven in Nordafrika. Der größte Coup gelang den Korsaren mit der Gefangennahme von Seth Southwell, der gerade erst von Karl II. zum Gouverneur von Carolina ernannt worden war. Zum Glück für den König hatte einer seiner Admirale kurz zuvor zwei wichtige Kommandanten der Korsaren in seine Gewalt gebracht, die nun gegen Southwell ausgetauscht wurden.
    Trotz der Verträge, die sie unterzeichnet hatten, kaperten die Korsaren von Salé weiter englische Schiffe. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Fischer im West Country völlig verzweifelt. Nahezu alle Küstenhäfen waren auf irgendeine Art vom Menschenraub in Mitleidenschaft gezogen worden, und es war kein Ende der Überfälle in Sicht.
    Doch endlich, im Jahr 1672, machte eine gute Nachricht die Runde: Der Sultan war tot, und in Marokko schien ein Bürgerkrieg unvermeidbar. Nun bestand die Hoffnung, dass das christliche Europa das zu erwartende Chaos würde nutzen können, um dem Handel mit weißen Sklaven ein Ende zu bereiten.

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    2
Der Sklavensultan
    Der berittene Bote preschte durch die Nacht. In einen Dschellaba gehüllt und mit einem dicken Schleier gegen die Kälte geschützt,

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