Weisses Gold
Dienstes in der Garnison des zu jener Zeit von den Portugiesen gehaltenen Tanger in einen Hinterhalt geraten war. Schon bald nahm Don Louis bei Ismail die Stelle des Vaters ein. Er hatte den Kleinen »unentwegt auf dem Arm«, heißt es in einem Bericht, »und gewann im Lauf der Zeit die Zuneigung des kleinen Prinzen«. In späteren Jahren hatte Mulai Ismail den Sklaven stets um sich und schenkte ihm nach 30 Jahren schließlich die Freiheit. Louis Gonsalez war einer der wenigen Sklaven, die er ziehen ließ.
In Ismails Sippe herrschten Zuchtlosigkeit und Zwist. Im Jahr 1664 hatte sein Bruder Mulai al-Raschid einem rivalisierenden Verwandten das Land der Familie entrissen und den Rivalen ermordet. Nachdem er sich zum Herrscher des Tafilalt aufgeschwungen hatte, führte er seine Armee nach Norden zum Rif und verleibte dieses gebirgige Gebiet seinem Herrschaftsgebiet ein.
Kurze Zeit später eroberte er die bevölkerungsreiche Stadt Fes. Er ließ ihre Regierung mit solcher Begeisterung foltern, dass die verängstigten Bewohner des nahe gelegenen Meknes unverzüglich in vorauseilendem Gehorsam kapitulierten. Da er nun das Gefühl hatte, seine Stunde sei gekommen, rief sich Mulai al-Raschid zum Sultan von ganz Marokko aus und ernannte seinen jüngeren Bruder Ismail zum Wesir von Meknes und Vizekönig von Fes. Innerhalb von zwei blutigen Jahren war die Familie in den höchsten Rang aufgestiegen.
Mulai al-Raschid verdankte seine Herrschaft dem Terror, und er schwor, auch mit dem Terror zu regieren. Germain Mouette, der Zeuge seiner Machtausübung wurde, war schockiert von seinem unberechenbaren Temperament. »Wollten wir über sämtliche Grausamkeiten und Massaker berichten, die er begangen hat«, schrieb Mouette, »über all das menschliche Blut, das er wegen nichtiger Verstöße vergossen hat … so würde diese Geschichte einen dicken Band füllen.« Raschid hoffte, die Grenzen seines Herrschaftsgebiets weiter ausdehnen zu können, und kaufte in großer Zahl europäische Sklaven, die für ihn kämpfen sollten. Diese unglücklichen Gefangenen leisteten ihm unschätzbare Dienste bei seinem Versuch, das Land unter seine Kontrollezu bringen: Viele von ihnen waren erfahrene Kanoniere, die die Lehmmauern einer Kasbah mit wenigen wohlgezielten Schüssen zertrümmern konnten. Mulai al-Raschids siegreiche Armee wälzte sich südwärts auf die rosafarbenen Mauern von Marrakesch zu, das sich nach einem nur symbolischen Widerstand ergab. Der Sultan war durch seinen Reichtum derart hochmütig geworden, dass er bereits die Eroberung der südlichen Sahara plante. Aber bevor er damit beginnen konnte, endete sein Leben in einem Zitronenhain im Garten seines Palastes in Marrakesch.
Die erschöpften europäischen Sklaven begrüßten seinen Tod, denn sie hofften, nun würden die unablässigen Kämpfe ein Ende haben. Dieselbe Hoffnung hegten die
Kaids
, die hochrangigen Verwaltungsbeamten, die unter seiner Terrorherrschaft um einen Großteil ihres Reichtums gebracht worden waren. Weder die Sklaven noch die Kaids ahnten, dass ein noch viel tyrannischeres Subjekt darauf wartete, die Macht an sich zu reißen. Mouette drückt es so aus: »Es war, als hätte die Natur, bevor sie ein so außergewöhnliches Wesen hervorbrachte, zunächst versucht, ein Modell zu bauen.«
Die Nachricht, dass sich Mulai Ismail zum Sultan ausgerufen hatte, weckte die Wut zahlreicher Mitglieder seiner weitläufigen Familie. Mulai al Harrani, einer seiner Brüder, beanspruchte den Titel ebenfalls für sich, und dasselbe galt für seinen Neffen Mulai Achmed. Weitere Fraktionen rebellierten und versuchten, sich ihren Teil des rasch zerfallenden Reichs zu sichern.
Wie sich herausstellte, waren Mulai Ismails Streitkräfte den neu aufgestellten Armeen seiner Widersacher durchaus gewachsen, und eine Reihe wichtiger Siege ermutigten ihn. Seine militärischen Erfolge waren wie die seines verstorbenen Bruders zum Teil dem Einsatz von europäischen Sklaven zu verdanken. Simon Ockley, einer der wenigen englischen Kenner des Islam, schrieb: »Da er den Juden einige christliche Sklaven abgenommen hatte, die sehr gut mit seinen Kanonen umzugehen verstanden, war er dem Feind bald überlegen.«
Mulai Ismail bewies nur selten Großmut gegenüber den Sklaven, die er im Kampf gefangen nahm. Bei der Eroberung des Ortes Tarudant fielen ihm 120 französische Sklaven in die Hände. Nachdem er diese ausgezehrten Gefangenen begutachtet hatte, erklärte er, sie seien überfüttert, und
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