Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Klaviersaite zu erdrosseln.
Kapitel 13
Der viele Zigarettenrauch sorgt für schlechte Luft in dem Raum im ersten Stock der örtlichen Episkopalkirche, der den Anonymen Alkoholikern als Treffpunkt dient. An den Wänden hängen die gerahmten Fotografien der Gründer unseres Vereins, die wir immer noch liebevoll Dr. Bob und Bill W. nennen, als sei es erforderlich, daß ihre Anonymität noch im Tod gewahrt bliebe. An der Wand hängt auch eine Liste, die die zwölf Schritte des Programms der Anonymen Alkoholiker auflistet, ebenso wie die zwei einfachen Grundsätze, nach denen wir unser Leben zu leben versuchen: JEDER TAG IST DER ERSTE TAG und EASY DOES IT. Das Meeting ist jetzt vorüber, und Freiwillige spülen das Kaffeegeschirr ab, leeren die Aschenbecher und wischen die Tische. Ich sitze neben einem großen Standventilator, der den Rauch aus den Fenstern in die Morgenluft bläst. Mein AA-Sponsor, Tee Neg, der wie ein Mulatte aussieht, sitzt mir gegenüber. Bevor er die Bar mit dem Billardsalon auf der East Main Street gekauft hat, die ihm jetzt gehört, arbeitete er auf den Ölfeldern, und drei Finger seiner rechten Hand sind einer Bohrkette zum Opfer gefallen. Er hat kaum je eine Schule von innen gesehen, so daß es mit dem Lesen und Schreiben bei ihm nicht weit her ist, aber er hat einen harten, klaren Verstand und steht eisern zu mir.
»Du regst dich schon wieder wegen was auf, Dave. Das ist nich gut«, sagt er.
»Ich reg’ mich nicht auf.«
»Wir betrinken uns wegen jemand. Oder vielleicht wegen etwas. So läuft das. Diese Wut ist es, die uns fertigmacht. Sag nich, daß das nich stimmt.«
»Tu ich doch gar nicht, Tee Neg.«
»Diesmal ist es nich wegen Bootsie. Was anderes, stimmt’s?«
»Kann sein.«
»Willst du wissen, was ich denke, Partner?«
»Ich hab’ so ein Gefühl, daß du es mir sowieso sagst.«
»Du denkst die ganze Zeit über diesen Fall nach. Du meinst, das ist der Grund, aber das stimmt nich. Dir macht der Lauf der Welt zu schaffen, der ganze Ärger, den wir jetzt immer mit den Farbigen haben, das quält dich, weil’s nämlich nich mehr wie früher ist. Dir wär’s am liebsten, wenn Süd-Louisiana wieder so wär’ wie damals, als du und ich und dein Daddy den ganzen lieben langen Tag lang rumgelaufen sind und die ganze Zeit kein einziges Wort Englisch geredet haben. Du läufst weg, wenn du Weiße hörst, die schlecht über Schwarze reden, als ob du glaubst, daß sie das in Wirklichkeit gar nicht so meinen. Du machst dir was vor. Aber wenn du dir noch lange vormachst, daß es noch so ist wie früher, Dave, daß das Schlechte nich tief in den Herzen der Weißen sitzt, dann wirst du für den Rest deines Lebens weglaufen.«
»Das muß nicht heißen, daß ich deswegen wieder zur Flasche greife.«
»Schau mich an. Sieben Jahre war ich trocken. Dann hab’ ich angefangen, über die Finger nachzudenken, die ich an dem Bohrloch verloren hab’. Das ging mir nich mehr aus dem Kopf. Jeden Morgen bin ich damit aufgewacht, gerade so wie wenn du mit einer häßlichen, bösen Frau aufwachst. Ich hab’s den ganzen Tag mit mir rumgeschleift. Hab’ die rosa Stümpfe angestarrt, bis sie klopften. Dann bin ich eines Nachmittags angeln gegangen und erst noch in den Köderladen eines Schwarzen, um ein paar Elritzen zu kaufen. Ich hab’ dem Mann noch gesagt, daß ich vorhatte, ein gutes Hundert sac-à-lait zu fangen, bevor die Sonne noch hinter der großen Weide verschwindet. Als nächstes hab’ ich ihm erzählt, ich hätt’ es mir doch anders überlegt, er soll mir nur ’ne Flasche Whiskey geben und das mit den Köderfischen vergessen. Danach war ich fünf Jahre blau. Dann hab’ ich noch ein Jahr hinter Gittern zugebracht. Wenn du dich zu sehr über das aufregst, was du doch nich ändern kannst, kommt’s mit dir vielleicht ganz genauso wie mit Tee Neg.«
Er blickt mich nachdenklich an und reibt seine Handflächen im Kreis auf den Oberschenkeln. Ich lasse meine Kaffeetasse um meinen Finger kreisen, bis einer der Freiwilligen kommt, die die Aufräumarbeiten erledigen, und sie mir aus der Hand nimmt.
»Trotzdem muß einem nicht alles gefallen, was man so sieht«, sage ich.
»Genausowenig, wie du dir davon das Leben schwermachen lassen mußt.«
»Ich mache mir das Leben nicht schwer, Tee Neg. Jetzt laß mal gut sein, ja?«
»Es wird nie wieder dasselbe sein, Dave. Die Welt, in der wir aufgewachsen sind, die ist verschwunden. Pa’ti avec le vent , Partner.«
Vom Fenster aus blicke ich hinunter
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