Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
damit wolltest du Weldon beeindrucken? Bist du noch bei Trost?«
Ich fühlte, wie meine Gesichtshaut straff wurde.
»Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was für eine Kindheit er gehabt hat?« sagte sie. »Ich will gar nicht erst versuchen, es dir zu beschreiben. Aber eins sag ich dir. Egal wie schlimm es war, er hat immer alles für Lyle und mich gegeben. Und damit meine ich buchstäblich, daß er jederzeit noch den letzten Bissen für uns abgegeben hat.«
Ich blickte wieder hinaus auf den Rasen.
»Was hast du dazu zu sagen?« sagte sie.
»Ich weiß nicht weiter.«
»Machen wir dich sprachlos?«
»Es ist nicht so, daß deine Familie das Recht auf harte Zeiten gepachtet hätte.«
Sie rieb gedankenverloren die Handballen an den Oberschenkeln.
»Mit Druck wirst du meinen Bruder nie dazu bringen, dir zu helfen«, sagte sie.
»In welchem Schlamassel steckt er, Drew?«
»Schmink dir erst mal solchen Schwachsinn wie das mit den Handschellen ab, dann sagt er’s dir vielleicht eines Tages selbst.«
»Du meinst also, ich sollte anders vorgehen? Liegt darin das Problem?«
»Hör einfach auf, dich wie ein Einfaltspinsel aufzuführen.«
»Das war schon immer deine Stärke, die Dinge auf den Punkt zu bringen.«
Ich hätte jetzt weiter nachsetzen können, aber Drew konnte man mit dem Gefängnis nicht beeindrucken. Das redete ich mir wenigstens ein. Ich stellte das Glas mit dem Eistee wieder auf den Tisch und stand auf.
»Man sieht sich«, sagte ich.
»War das alles?«
»Warum nicht? Schließlich hast du mir doch reinen Wein eingeschenkt, oder?«
Ich ging im Schatten der Bäume über den blaugrünen Rasen. Fast spürte ich im Nacken ihren beunruhigten, stechenden Blick.
Ich ging wieder ins Büro und redete mit unserem Fingerabdruckspezialisten, der mir sagte, daß die Spurensuche in Weldons Haus der reinste Alptraum sei. Es gab keinen einzelnen Gegenstand, der eindeutig als Beweismittel oder Indiz anzusehen war, eine Mordwaffe beispielsweise, und praktisch jeder Zentimeter der Innenräume wies zahllose Abdrücke auf, die von Familienmitgliedern, Gästen, Hausangestellten, Stromablesern und einem ganzen Trupp von Zimmerleuten stammten, die Weldon offensichtlich hatte kommen lassen, um mehrere Zimmer völlig neu einzurichten. Der Mann von der Spurensicherung bat mich, ihm das nächste Mal doch bitte eine leichtere Aufgabe zu geben, beispielsweise Abdrücke im Busbahnhof abzunehmen.
Als ich heimkam, fand ich auf dem Küchentisch eine Nachricht von Bootsie. Sie war mit Alafair in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu erledigen. Es war ein warmer Abend, und tiefhängende Wolkenstreifen zogen sich über den kastanienbraunen Abendhimmel. Ich schlüpfte in Turnhose und Laufschuhe und joggte drei Meilen auf der unbefestigten Straße, die am Bayou entlang verläuft. Nach und nach fühlte ich, wie die Müdigkeit und Last des Tages von mir wichen, und an der Zugbrücke machte ich kehrt und legte mich auf dem Heimweg richtig ins Zeug. Das Blut pulsierte in meinem Hals, und meine Brust glänzte vor Schweiß. Das Haus lag jetzt im Schatten, und die wie bei einem Blockhaus gradweise vorgerückten Zypressenbretter waren so dunkel wie Eisen und sahen auch genauso hart aus. Ich ging in den hinteren Garten. Von dort aus sah man immer noch die Abendsonne über dem Ententeich und weit hinten, am äußersten Ende meines Grundstücks, die alte Scheune ohne Dach. Ich begann mit einer Reihe von Liegestützen, Klappmessern und Sit-ups, die ich im Wechsel sechsmal wiederholte.
Ich legte meine Füße auf die Bank des Redwood-Picknicktisches, den wir unter dem großen Tupelobaum stehen hatten, und machte jeden Liegestütz so langsam ich konnte, die Wirbelsäule ganz gerade. Ich berührte mit der Stirn sacht den frischgemähten Rasen, und meine Muskeln spannten sich über die Rippen und in der Schulter und in den Oberarmen. Ich war alt genug, um zu wissen, daß es zum größten Teil einfach narzißtische Eitelkeit war, aber ab einem gewissen Alter genießt man die Gnade, sich nicht mehr für alles rechtfertigen zu müssen. Manchmal ist es einfach ein gutes Gefühl, älter als ein halbes Jahrhundert zu sein und doch immer noch voll dabei, mit leichten Abnutzungserscheinungen und ein paar Narben vielleicht, aber immer noch auf der Höhe, und wo die Kraft und der Elan der Jugend fehlten, kam man mit Tricks und Routine ins Ziel. Ich hatte vorn und hinten an der linken Schulter je eine runde Narbe vom Durchmesser einer Zigarre, wo mir ein
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