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Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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silberner Fische, die aus der Öffnung einer Unterwasserhöhle nach oben stoben.
    Am nächsten Nachmittag hatte ich Akten und Fotos von Jewel Fluck und Eddy Raintree vom National Crime Information Centre in Washington D. C., den örtlichen Police Departments von New Orleans, Jackson, Biloxi und Baton Rouge sowie den Strafanstalten Angola und Parchman. Beide Männer gehörten zu der großen grauen Masse psychologisch deformierter Menschen, die ich als den »Pool« bezeichnete. Die Angehörigen dieses Pools hinterlassen ganze Lagerhäuser von behördlichen Unterlagen über sie – greifbarer Beweis dafür, daß sie für einen bestimmten Zeitraum Bewohner dieses Planeten waren. Der Kreislauf beginnt, wenn die Namen das erste Mal auftauchen: in Fallgeschichten des Sozialamts, Ermittlungen wegen Kindesmißbrauchs, Krankenhauseinweisungen wegen Rattenbissen und Unterernährung. Genau dieselben Menschen sind es, die in späteren Jahren einem ganzen Heer von Beamten der Schulbehörde, Psychologen, Pflichtverteidigern, Bewährungshelfern vom Jugendamt, Krankenpflegern, Streifenpolizisten, Staatsanwälten, Gefängniswärtern, Alkohol- und Drogenberatern, Kautionsagenturen, Bewährungsausschüssen und zuletzt den Leichenbeschauern den Job garantieren, welche den Schlußstrich unter die Akten setzen.
    Es ist eine Ironie des Schicksals, daß wir ohne den Pool die Perspektive unserer Jobs überdenken und unsere Aufmerksamkeit in eine ganz andere Richtung lenken müßten: auf die Immobilienhaie und die Umweltverschmutzer von der Industrie und die unheilige Allianz von Rüstungskonzernen und Militärs, für die die Staatskasse ein Selbstbedienungsladen ist.
    Ich sah mir die Karteifotos von Fluck und Raintree an und war mir einigermaßen sicher, daß es sich dabei um die Männer handelte, die in Weldons Haus gewesen waren (ich sage »einigermaßen sicher«, weil die Fotos für die Kartei häufig unmittelbar nach der Verhaftung gemacht werden, wenn die betreffende Person müde, wütend, betrunken ist oder unter Drogeneinfluß steht; außerdem legen sich Rückfalltäter und Berufskriminelle andauernd neue Frisuren zu, lassen sich Schnurrbarte und Hinterwäldler-Koteletten wachsen und rasieren sie wieder ab, und bekommen von der Gefängniskost – Hafergrütze, Spaghetti, Stampfkartoffeln – aufgeschwemmte Gesichter).
    Aus der Akte von Fluck erfuhr ich wenig, das ich nicht bereits wußte oder mir zumindest denken konnte. Mit siebzehn hatte er einen anderen Jungen im Superdome eine Treppe hinuntergestoßen, wobei sich der den Arm gebrochen hatte, aber die Anklage war fallengelassen worden. Man hatte ihn für Zeit seines Lebens von allen Pferdebahnen in Louisiana verbannt, nachdem man ihn dabei erwischt hatte, wie er einem Pferd einen Speedball, eine hochgiftige Mischung aus Kokain und Heroin, verabreicht hatte; zweimal war er im Stadtgefängnis von New Orleans zu Gast gewesen, einmal, weil er einen Taxifahrer verprügelt hatte, das zweite Mal wegen des kommerziellen Vertriebs pornographischer Filme. Kernstück seines Strafregisters war sein Aufenthalt im Zuchthaus Parchman Farm, wo er die fünf Jahre, zu denen er verurteilt war, voll abbrummte, was man in Fachkreisen ein sogenanntes »Maximum« nennt – was entweder bedeutete, daß er den Wärtern unaufhörlich Ärger gemacht hatte, so daß ihm kein einziger Tag der Strafe erlassen wurde, oder erst gar keinen Antrag auf Bewährung gestellt hatte, weil er sich draußen von keinerlei Auflagen abhängig machen wollte.
    Aber genau weil er die Strafe voll abgesessen hatte, führte Parchman ihn unter keiner Adresse, und in den zwei Jahren seit seiner Entlassung war er nicht wieder verhaftet worden. Seine Eltern waren tot, und weder das Telefonbuch von New Orleans noch die Kundenliste der Gas- und Stromwerke führten jemanden mit dem Namen Fluck.
    Das Gesicht, das mir von dem Foto in Eddy Raintrees Akte entgegenstarrte, hatte soviel Charakter und Ausdrucksstärke wie frisch gegossener Zement. Er hatte es gerade mal bis zur sechsten Klasse geschafft, war unehrenhaft aus dem Marine Corps entlassen worden und hatte niemals einen Job gehabt, der über den eines Bratkochs oder Hilfsarbeiters hinausging. Er hatte in den Bezirksgefängnissen von Calcasieu, West Baton Rouge und Ascension wegen Bigamie, Scheckfälschung, Brandstiftung und Unzucht mit Tieren eingesessen. Der Besitz gestohlener Lebensmittelkarten brachte ihm drei Jahre in Angola, und zwei dieser drei Jahre hatte er in Einzelhaft im

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