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Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast

Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast

Titel: Weisst du eigentlich, dass du mir das Herz gebrochen hast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Rothenberg
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einsame, qualvolle Seufzer aus, die von der Musik kaum übertönt wurden. Sein Schmerz war allgegenwärtig. Ich konnte ihn schmecken, ich konnte ihn riechen, ich konnte ihn spüren, als seine Schultern unter meinen Händen bebten.
    »Schhh«, flüsterte ich. »Alles wird gut.« Ich strich mit den Fingern seine Haarsträhnen zurück. »Was es auch ist, ich verspreche dir, es wird wieder gut.« Ich konnte es kaum glauben. In all den Jahren, die ich ihn kannte, hatte ich ihn noch nie so deprimiert erlebt.
    Noch nie.
    Sanft ließ ich meine Hand über seinen Rücken streichen und fühlte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Dann beugte ich mich zu ihm herunter und küsste ihn behutsam auf die Wange, wobei ich kaum zu atmen wagte. Ein Kuss, der alles wieder gutmachen sollte. Ein Kuss, um mich für alles zu entschuldigen, was ich ihm angetan hatte.
    Ich hoffte nur, er konnte ihn spüren.
    Es tut mir leid, Jakob.
    Doch mein Kuss änderte nichts. Er war immer noch totunglücklich. Und ich war nichts weiter als ein verblasster Schatten an seiner Zimmerwand.
    Er lehnte sich zurück und wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. Dann griff er nach seinem Spiralblock und wandte sich wieder dem zu, womit er vorhin beschäftigt gewesen war. Ich beobachtete, wie sich die Spitze seines Kugelschreibers über das verschmierte Blatt bewegte, ohne dabei die Anstrengung zu unternehmen, die Mischung aus Jungenhandschrift und Tränen zu entziffern. Aber als ich sah, wie krampfhaft seine Finger den Stift hielten, beschloss ich, einen genaueren Blick darauf zu werfen.
    Woran in aller Welt konnte er nur so konzentriert schreiben? An einem Aufsatz fürs College? An einem Laborbericht? Vielleicht musste er dringend ein Referat vorbereiten?
    Ich lehnte mich über seine Schulter, um einen näheren Blick darauf zu werfen. Es war nichts von alledem. Es war ein Brief.
    Doch als ich erkannte, was für eine Art Brief das war, spürte ich, wie sich der Raum um mich herum zu drehen begann.

    Ich kann so nicht mehr weiterleben.
    Ich kann mich nicht mehr verstecken oder so tun, als sei ich jemand, der ich nicht bin. Ich habe versucht, mich zu ändern. Ich habe versucht, ein anderer Mensch zu sein.
    Aber ich bin der, der ich bin. Ich bin, WAS ich bin.

    Ich hörte auf zu lesen.
    Was bist du?
    Ich musste an unseren allerletzten Abend denken: 4. Oktober 2010. Der Abend, an dem seine Worte mein Herz zum ewigen Stillstand gebracht hatten. Die Wahrheit ist, ich hatte gleich gewusst, dass er mit mir Schluss machen würde. Ich sah die Angst und die Traurigkeit in seinen Augen, als er mich abholte. Ich wollte es nur nicht wahrhaben.
    Tu mir das nicht an, hatte ich ihn von der anderen Seite des Tisches aus stumm angefleht. Tu uns das nicht an. Bitte.
    Natürlich sagte er die Worte am Ende trotzdem.
    ICH LIEBE DICH NICHT.
    Erst jetzt, wo ich in Jakobs Zimmer stand und ihn beobachtete, fiel mir auf, dass ich nie erfahren hatte, warum er mich nicht liebte. Seit jenem Morgen am Strand war ich davon ausgegangen, dass er wegen Sadie mit mir Schluss gemacht hatte. Was aber, wenn ich mich geirrt hatte? Was, wenn ich einen schrecklichen Fehler begangen hatte?
    Mir schwirrte der Kopf. Plötzlich wurde mir klar, dass ich an jenem Morgen nach dem Lagerfeuer nur gesehen hatte, wie sich Sadie und Jakob umarmt hatten – nichts weiter. Ich hatte gesehen, wie sie sich Blicke zuwarfen, miteinander flüsterten und sich SMS schrieben, aber nicht, dass sie sich geküsst hätten. Mir wurde klar, dass ich Zeuge davon geworden war, wie sie – in ihrem Schweigen miteinander verbunden – mit einem Geheimnis kämpften, während unsere Freunde sie dafür abstraften.
    Und ich war die ganze Zeit an der Spitze der Meute gewesen.
    Von dieser Erkenntnis überwältigt, ließ ich mich rückwärts aufs Bett fallen.
    »Du hast mich geliebt«, flüsterte ich. »Nur nicht auf dieselbe Weise, wie ich dich geliebt habe.«
    Es hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert, aber jetzt begriff ich endlich den Unterschied. Alle Teile passten zusammen. Alles war schlüssig.
    Jakob hatte sich nicht in Sadie verliebt. Er hatte ihr lediglich etwas anvertraut .
    Sein größtes Geheimnis.
    Und Sadies einzige Schuld bestand darin, es ihm zuliebe bewahrt zu haben.
    »Bitte, tu das nicht«, flehte ich ihn an, während mir die Tränen über die Wangen strömten. »Bitte, hör doch zu.«
    Aber er hörte mich nicht. Er konnte mich nicht hören. Weil er zu sehr damit beschäftigt war, seinen Abschiedsbrief zu

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