Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
Boden setzten. Wir trugen Kopfnetze,
um sie abzuwehren, doch auf jedem Stück unbedeckter Haut ließen sie sich in Sekundenschnelle nieder und saugten sich voll, bis man sie erschlug oder sie davonflogen, fett und schwindlig vor Blut.
Es dauerte eine ganze Weile, das Flugzeug zu entladen. Die Pferde mussten wieder die Rampe heruntergebracht werden, und dafür war jede Menge gutes Zureden notwendig. Währenddessen rauchten die Männer unablässig und stritten sich. Der Ort, an dem wir uns befanden, machte sie sichtlich nervös.
Wir schlugen unser Lager ein gutes Stück von der Brücke entfernt auf, weil der Leichenhaufen dort so stank.
Es war ganz anders als beim letzten Mal. Wir hatten Bettzeug, frisches Essen und sauberes Brennholz mitgebracht – nicht, um es warm zu haben, sondern um mit dem Rauch die Insekten zu vertreiben.
Callard hatte ein eigenes Zelt und zwei Männer, die ihn beschützten. Wie er gesagt hatte, musste er seine Geschäfte vorsichtig führen. Der Pilot schlief als Einziger im Flugzeug, die Übrigen verbrachten die Nacht im Freien und achteten darauf, dass immer jemand ein Auge auf mich hatte.
Gut, ich hatte ein paar Werkzeuge, aber sonst keine nennenswerten Waffen, und ich wusste, dass es nichts gab, was ich tun könnte, sollten sie ihrerseits ein doppeltes Spiel mit mir spielen. Falls sie beschlossen,
mich zu töten, hoffte ich nur, dass es schnell geschehen würde.
Apofagato hatte mir geraten, möglichst keinen Staub mit aus der Zone zu bringen. Also schnitt ich mir bei Tagesanbruch das Haar mit einer Schere kurz und erledigte den Rest mit einem Rasiermesser. Schließlich lag mein Haar in Büscheln überall um mich herum. Es war dunkler, als ich gedacht hatte, und ich konnte auch etwas Grau darin erkennen. Ich strich mir mit den Fingern über den nackten Schädel – er fühlte sich eigenartig an. Doch irgendwie war es tröstend, ihn zu halten. Er war warm und hatte einen Puls. Es erinnerte mich an Ping.
Dann warf ich das Andenken weg, das ich mir aus dem Flugzeugflügel gemacht hatte. Ich hatte es so lange getragen, dass es einen grauen Schmutzfleck auf meiner Haut hinterließ. Ich nahm es ab und schleuderte es in den Fluss. Es hob und senkte sich wie ein Vogel im Flug, dann verschwand es. Und ich dachte, dass, welche Hoffnungen und Überzeugungen Makepeace auch gehegt hatte, sie lediglich eine Maske von vielen war, die das Leben trug, während es um seine Erneuerung kämpfte – unsentimental, schonungslos, schmutzig in der Wahl seiner Waffen.
Ich zweifelte nicht daran, dass Callard mir die Wahrheit gesagt hatte. Bill Evans hatte eine Faustregel,
nach der er Verdächtige einschätzte. Sie war nicht narrensicher – was ist das schon? –, aber sie half, sich einen Eindruck von Leuten zu verschaffen. Er nannte sie das »Gesetz des Gegenteils«. Er sagte, die Wahrheit über einen Menschen ist das Gegenteil dessen, was er dir preisgibt. Wenn du jemanden verstehen willst, musst du seinen Schatten zu fassen bekommen. Bills Auffassung nach war der Mensch, den man am meisten zu fürchten hatte, jener, der immerzu die alte Leier der Tugend anstimmte.
Mein Vater fühlte sich von dem Gedanken an die Dinge, die er geopfert hatte, um dieses Leben hier zu führen, erhöht. Er glaubte fest, dass er ein besserer Mensch war als jene, die sich an Reichtümer und Städte und all das klammerten, jene, die länger gebraucht hatten, um die Veränderungen in der Welt wahrzunehmen. Die Wahrheit aber war: Er war nicht einmal ein so guter Mensch wie Eben Callard.
Callard war brutal und pragmatisch. Er nannte sich selbst einen Christen, doch seine wahren Überzeugungen rückten ihn eher in die Nähe der Tungusen. Es gab kein »Richtig« in den frühen Religionen, kein »Gut sein« – es gab nur die Art und Weise, wie die Dinge eben getan wurden, nur, was dem Leben diente und was nicht. Und es gab keinen Raum für Heuchelei.
Die Gebete, die mein Vater darbrachte, waren die
Gebete der Pharisäer. Er redete von Gott und Opferbereitschaft. Aber sein Gott war seine eigene Eitelkeit, und das Opfer war, wie sich gezeigt hatte, ich.
Und so kehrte ich, einige Stunden nach Sonnenaufgang, in die Zone zurück. Die Stadt wirkte zu dieser Jahreszeit völlig anders. Auf den Hauptstraßen blühten die Kastanien, und die Bürgersteige waren von einer Art klebrigem Saft bedeckt, der von den Ästen herabtroff. Und doch schien Polyn im Sommer beinahe noch kränker, noch toter. Im Winter war die Stadt wie gefroren
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