Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
wo sie die Wachen absprühten. Dann band ich das Pferd fest
und ließ mein Werkzeug vor der Absperrung liegen, so wie wir es vereinbart hatten. Ich hatte noch einen Apfel vom Mittagessen, den ich dem Pferd hinhielt. Es beschnüffelte ihn unsicher, mit zitternden Nüstern, dann zog es die Lippen zurück und biss hinein. Schließlich zog ich mich aus, ganz sachte wegen all der Insekten, und bald stand ich nackt da, schlug mir die Moskitos von der Haut und wartete darauf, dass die Wachen mich rüberriefen.
Nach und nach tauchten immer mehr Männer auf, aber es war keine Spur von der Kleidung zum Umziehen zu erkennen. Wenn sie mich töten, dann jetzt, schoss es mir durch den Kopf.
Ich hörte ein Rufen. Callard und Apofagato ritten langsam vom Flugzeug zur Brücke. Die Wachen warteten ganz offensichtlich auf ein Zeichen ihres Anführers.
Callard ritt locker und entspannt und ließ das Pferd einen Weg durch den herumliegenden Schutt suchen.
»Wie ist es gelaufen?«, rief er.
»Ich habe einen Anfang gemacht«, sagte ich.
»Bloß vier, aber sie sehen richtig gut aus«, rief die Wache und hielt eines der Gläser hoch in die Sonne. Die Augen des Mannes fuhren wie Harken über meine bloße Haut.
Callard nahm das Gewehr von seinem Sattel.
»Es gibt noch jede Menge da drin«, sagte ich. »Vielleicht Hunderte. Wird aber brauchen, sie da rauszuholen. « Meine Stimme klang dünn und ängstlich. Es fühlte sich wie die größte Demütigung von allen an, nackt vor ihren Augen zu sterben.
Callard deutete mit dem Gewehr in meine Richtung. »Du tötest besser das Pferd, wie wir es vereinbart haben.«
Das war die Mathematik des Überlebens. Pferde gab es genug. Eines krank werden und die restlichen sich anstecken zu lassen, war ein Risiko, das sich nicht lohnte einzugehen. Sie konnten ein neues Pferd züchten, aber eine neue Makepeace aufzutreiben, die die Stadt kannte und wusste, wo die Gläser versteckt waren, würde sehr viel länger brauchen. Zumindest war es das, worauf ich hoffte.
Ich trat über die Absperrung. Die Wachen spritzten mich mit Karbolseife ab und reichten mir dann die neuen Kleider. Die Seife stach in meinen Augen, trotzdem zog ich mich so schnell wie möglich an. Die Stiefel, die sie mir gaben, waren zu groß, und meine Füße schwammen ein wenig darin, aber das war ganz egal: Ich wurde von einer so starken Woge der Erleichterung überrollt, dass ich fast zu weinen anfing. Das Abendlicht schien Leben zu versprechen, und ich wollte leben und all die wunderbaren Dinge, die ich gesehen hatte, in Ehren halten. Polyn
vom Flugzeug aus. Das Mädchen in seinem Erinnerungsstein. Evangeline ohne eine Menschenseele darin. Wenn ich zum Nachthimmel hochsah, an dem sich Nadelstiche aus Licht zusammendrängten, bildete ich mir manchmal ein, ich könnte auf einem anderen Stern eine andere Makepeace sehen, eine Makepeace, die ihre letzten Tage umgeben von Enkelkindern verbringt. Das war jetzt Alaska für mich. Ein anderes Leben. Das Leben, das ich so vermisst hatte. Ein Gefühl des Friedens breitete sich in mir aus.
»Es wäre doch schade, das Pferd zu erschießen«, sagte ich dann zu Callard. »Ich dachte, vielleicht kann ich es morgen noch gebrauchen.«
Callard zuckte mit den Achseln. »Was sagt Apofagato? «
Apofagato schüttelte den Kopf. »Es kann Symptome geben. Zwölf Stunden lang. Wir sollten töten.«
»Du hast den Mann gehört.« Callard drehte das Gewehr in seinen Händen und hielt mir den Schaft hin.
Es war ein wunderschönes Repetiergewehr mit einem Hebel auf der Unterseite des Laufs, mindestens hundert Jahre älter als ich, grau leuchtend das Metall, das Holz so kastanienbraun wie das Pferd. Bill Evans hatte ein ganz ähnliches gehabt.
»Schöne Waffe«, sagte ich, als ich sie entgegennahm.
»Es ist eine Winchester«, sagte Callard. »Es gibt eine Geschichte dazu, die ich dir eines Tages erzählen werde.«
Das Pferd hatte einen weißen Stern auf der Stirn. Ich legte das Gewehr darauf an – und ließ es wieder sinken. »Ihr solltet vielleicht absteigen, für den Fall, dass die Pferde sich erschrecken«, sagte ich.
Apofagato schwang sich aus dem Sattel, aber Callard blieb, wo er war, sich seiner Sache wie immer völlig sicher. »Kümmere dich nicht um mich, Makepeace«, sagte er. »Mach es einfach. Ich will, dass die anderen Tiere sauber bleiben.«
Ich hob das Gewehr wieder und drückte ab. Die Waffe schlug mir gegen die Schulter, das Pferd schwankte, knickte mit den Vorderfüßen ein und ging zu
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