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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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müssen.
    Sie ließen mich zurück auf mein altes Zimmer, und bei Tagesanbruch war ich bereits auf den Beinen und wartete im karamellfarbenen Sonnenlicht am Flugzeug, während die Pferde über eine Rampe am Heck verladen wurden.
    Die Tiere scheuten etwas bei dem Geruch nach Öl und Alkohol, aber die Wachen schoben sie hinein und steckten sie in Schlingen, die sie die Reise über festhalten sollten. Ich wusste, dass früher manchmal auch die Tungusen ihre preisgekrönten Karibus durch die Luft transportiert hatten.
    Dann nahmen wir selbst unsere Plätze ein, manche auf Kisten, andere auf den Sitzen, die zu beiden Seiten von wackligen Befestigungen baumelten. Das Innere der Maschine war himmelblau gestrichen, mit
schablonengemalten russischen Worten darauf. Ich kam mir wie in einem Schuppen vor. Es schien unmöglich, dass wir je in der Lage sein sollten, den Boden zu verlassen.
    Wir mussten noch fast eine Stunde warten, bis sich die Propeller zu drehen begannen, so hatte ich genügend Zeit, darüber nachzudenken, welche Wahl ich getroffen hatte. Ich war mir sicher, dass Shamsudin den Handel, den ich geschlossen hatte, gutgeheißen hätte. Zivilisation und Städte sind ein und dasselbe … Ich wünschte, er hätte mit mir kommen können – ich war noch nicht zu alt für Veränderungen.
    Callard stieg als Letzter ein. Er nahm im Cockpit neben dem Piloten Platz und zog sich etwas über den Kopf, womit er mit diesem sprechen konnte.
    Beim Start rumpelten wir so langsam über das Gras vor dem Lager, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie wir abheben sollten, bevor wir die Bäume rammten. Doch dann, gerade, als es schien, als ob sich der Pilot verschätzt hätte, änderte sich der Klang der Motoren, das Flugzeug stieg in die Luft, und ein unsichtbares Gewicht presste mich in den Sitz.
    Die Pferde schien die Vorstellung, zu fliegen, weit kälter zu lassen als mich. Sie schwankten ein bisschen, als wir abhoben, ließen sich aber beim Fressen aus den Futtersäcken in keinster Weise stören.

    Ich musste mich etwas verrenken, um aus dem Fenster zu blicken. Während wir einen weiten Bogen um das Lager zogen, konnte ich den Boden unter uns wegfallen sehen. Die Barracken lagen wie eine Spielzeugfestung unter uns ausgebreitet. Die Männer, die gerade zur Arbeit rausmarschierten, verharrten wie ein kollektiver Körper und blickten auf. Die Felder um sie herum waren braun und ausgeblichen wie ein abgenutztes Bärenfell. Sommer und Winter sind die beiden Gemütslagen des Nordens – aber so verschieden, dass man sie für unterschiedliche Länder halten könnte.
    Und dann waren wir über der Taiga – eine einzige grüne Weite bis zum Horizont, hier und da von kleinen weißen Wasserrillen durchschnitten. Ihre Größe ließ meinen Nacken kribbeln. In der Ferne konnte ich die sanfte Krümmung des Globus ausmachen.
    Es war viel zu laut in der Kabine, um sich zu unterhalten, und ein paar der Männer dösten. Die Wachen neben mir waren den ganzen Flug über ziemlich angespannt. Sie ließen mich nicht aus den Augen – offenbar nicht überzeugt davon, dass ich ihnen aus freien Stücken helfen würde.
    Tatsächlich wäre es mir leicht gefallen, die Steuerung zu packen und uns alle in die Bäume zu stürzen. Aber ich hielt mich an die Vereinbarung.

    Wir brauchten einen halben Tag, um dieselbe Strecke zurückzulegen, für die ich etliche Wochen gebraucht hatte. Schon gegen Mittag bekamen wir ein Zeichen aus dem Cockpit, dass wir über der Zone waren.
    Man musste Polyn aus der Luft sehen, um zu ermessen, was für ein gigantisches Werk die Stadt war.
    Wie die Teile einer zerbrochenen Maschine lag sie unter uns in der Sonne. Die Straßen, die sich vom Zentrum ausgehend auffächerten. Der Fluss daneben wie ein Streifen gehämmerten Bleis, das die Sonne mit einem dumpfen Glühen reflektierte. Und dann der große Kopf – nicht mehr als ein Bronzepickel.
    Der Pilot brachte uns direkt neben dem Flussufer runter, wobei wir uns bei der Landung immer schneller zu bewegen schienen, bis die Bäume an uns vorüberrauschten und es sich anfühlte, als würden wir gleich zerschellen, aber das Flugzeug sprang ein paarmal wie ein flacher Stein auf dem Wasser und kam schließlich zum Stehen.
    Die Sonne war blendend hell, als ich ausstieg. Die Propeller erstarben nach und nach, bis alles, was man in der Stille hören konnte, das stürmische Gesumm der Insekten war. Und tatsächlich suchten uns die Moskitos von dem Moment an heim, in dem wir den Fuß auf den

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