Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
mich sah, machte der Tross langsam Halt. Ich hatte nicht vor, zu nahe zu kommen, also hielt ich etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt an und wartete ab, ob sich irgendjemand nähern würde.
Die Stute scharrte im Schmutz, während ich wartete. Ich konnte heiße Blicke auf mir spüren. Fünf oder sechs Männer zu Pferde schikanierten die Gefangenen. Ich zählte mindestens drei Gewehre und begann schon, meinen Mut zu bedauern. Da scherte ein großer, schlanker Kerl aus der Reihe aus, ritt nahe an mich heran und tippte sich an den Hut. Er hatte ein scharfgeschnittenes, ledriges Gesicht, blaue Augen, und die Finger, die die zusammengelegten Zügel hielten, waren lang und dünn.
Er leckte sich die gesprungenen Lippen und spuckte in den Schmutz. »Sieht aus, als ob der Regen auf sich warten lässt«, sagte er.
»Kommt drauf an, wie lang man unterwegs ist«, erwiderte ich.
»Noch gut vier Wochen.«
Die Waffe an seiner Hüfte hatte einen langen, silbernen Lauf, so dünn und elegant wie seine Finger. Ich spürte, dass er befürchtete, es könne noch mehr von mir geben, Leute, die sich irgendwo in der Nähe verbargen. Natürlich war er nach außen ruhig und entspannt, wie es sich für einen Pharao gehörte, aber was ihn verriet, waren die Augen seiner Männer, die
unruhig umherzuckten und nach Männern in ihren Verstecken suchten.
»Mit was handelt ihr?«, fragte ich.
Seine blauen Augen verengten sich zu Stahlsplittern. Er erwiderte nichts.
Ich studierte die mürrischen Gesichter in der Kolonne, die schmutzigen Menschen, die die Chance ergriffen, sich hinzuhocken und zu verschnaufen: Bauernmädchen, einige Chinesinnen, manche mit gesprungenen roten Wangen, manche dunkler, asiatisch, Einheimische.
»Sehe euch zum ersten Mal hier vorbeikommen«, sagte ich und wusste, wenn er wieder still blieb, bedeutete das Ärger.
Er sah auf seine Hände hinab, die er auf dem Sattelhorn gefaltet hatte, und hob dann den Blick wieder langsam, wie um mich spüren zu lassen, dass er es nicht eilig hatte, meine Frage zu beantworten.
»Wir sind vor einigen Monaten hier durchgekommen. «
»Na, was sagt man dazu«, murmelte ich, um die Pause zu füllen. Ich überschlug, wie schnell ich einen Schuss auf ihn abgeben und dann der Stute die Sporen geben könnte, um von hier wegzukommen. Mein Herz hämmerte, die Zeit schien sich zu dehnen, und meine Augen hatten diese Schärfe, mit der man alles wahrnimmt, wenn der Körper nur genug Kampfhormone
ins Blut schüttet. Auf den Pferden hinter ihm konnte ich einzelne grinsende Gesichter ausmachen.
»Um genau zu sein«, sagte er, »habe ich hier in der Gegend ein Mädchen verloren. Du bist wohl kaum auf eine Streunerin gestoßen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»So ein Pech. Ich hatte Gefallen an ihr gefunden.« Leder quietschte, als er sein Gewicht im Sattel verlagerte. »Na schön, war nett, mit dir zu plaudern.« Er tippte sich an den Hut und gab seinem Pferd die Sporen, ritt den Weg zurück, den er gekommen war, und seine Männer scheuchten die sitzenden Gefangenen wieder auf die Beine.
Ich blieb noch eine ganze Weile stehen und sah ihnen nach, teils aus Neugier – woher kamen sie wohl, Herren wie Sklaven, und was für ein Leben hatten sie geführt? –, aber auch für den Fall, dass es einem von ihnen vielleicht einfiel, auf gut Glück einen Schuss abzugeben, sobald ich den Blick abwandte.
Es gab Zeiten, in denen ich mich fragte, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, zurückzubleiben, während alle anderen weggezogen oder gestorben waren. An diesem Tag, als ich die Menschenkolonne im von ihren Füßen aufgewirbelten Staub verschwinden sah, befiel mich eine tiefe Angst, was während meiner Abwesenheit mit der Welt dort draußen geschehen war.
5
ICH BEUGTE MICH mit Ping über eine Karte der Stadt, zeigte auf mein Haus und wo wir uns getroffen hatten, und bat sie, mir zu zeigen, wo sie vorher gelebt hatte.
Sie drehte und wendete die Karte mehrmals, um sich zu orientieren, nahm dann einen Stift und machte ein Kreuz an der Malahide Avenue, direkt hinter der alten Feuerwache. Als sie wieder zu mir aufsah, war da etwas in ihren Augen, eine Art Beklommenheit, als ob der Ort böse Erinnerungen für sie bereithielte, selbst wenn es nur Linien auf Papier waren. Also lächelte ich und strich ihr über die Wange, um ihr zu versichern, dass sie nicht dorthin zurückmusste.
Die Feuerwache lag am nördlichen Ende der Stadt in der Nähe des Highways, der westwärts zu den alten Gasfeldern und
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