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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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drängelten, zog ich die Hose wieder hoch und band sechs von ihnen zusammen.

    Es war allerdings nicht die leichteste Übung, sie als Gespann zu treiben. Immer wieder blieben ein oder zwei an ein paar Flechten stehen, und ich musste die anderen festbinden, bevor ich versuchte, die störrischen Tiere weiterzutreiben, denn ich war nicht stark genug, mit allen sechs fertigzuwerden. Trotzdem war es ein gutes Gefühl, so viel Nahrung gefunden zu haben – ich wusste, dass in Horeb nichts verschwendet werden würde und man sie mit Hufen und allem Drum und Dran essen würde.
    So kämpften wir uns langsam vorwärts und erreichten schließlich am späten Nachmittag des dritten Tages die Siedlung.
    Als der Torwächter mich erkannte, wies er mich an, vor dem Zaun zu warten, und holte den Reverend.
    Ich begrüßte Boathwaite betont freundlich. Trotz aller Mühen war ich reichlich stolz auf mich, ja, die harte Arbeit schien die Lebensgeister in mir geradezu geweckt zu haben. »Schätze, Sie werden die hier haben wollen«, sagte ich und zog meine Waffen. Der Reverend zuckte kurz zusammen, sah dann aber, dass ich nichts Böses im Schilde führte, und nahm die Waffen lächelnd entgegen.
    Sie müssen über mich hergefallen sein, kurz nachdem ich das Tor passiert hatte – ganz genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich spürte einen schweren
Schlag auf meine Schultern, als wäre ein Ast auf mich herabgestürzt, und dann einen dumpfen Schmerz, der mich in die Knie zwang. Ebenso wenig könnte ich sagen, wie viele von ihnen mich angriffen oder mit was. Das einzige Gesicht, an das ich mich erinnere, gehörte dem Mann mit den großen blauen Augen, den ich am ersten Tag im Wald getroffen hatte, aber nun war es völlig von Hass verzerrt, und er schrie »Verräter«, während er meinen Arm mit einem Knüppel brach. So ist das also, dachte ich und kauerte mich hin, denn es war sinnlos, gegen sie alle zu kämpfen. Doch dann ließen die Schläge nach, und sie zogen mich an den Füßen in einen Verschlag, der nicht viel größer als eine Hundehütte war.
    Während sie mich hineinquetschten, verpassten sie mir noch ein paar Tritte, und ich schlug um mich und beschimpfte sie, wobei ich mir die übelsten Beleidigungen für den doppelzüngigen Reverend aufhob. Dann hatte jemand die Idee, einen Eimer Wasser über mir auszuschütten, um mich zum Schweigen zu bringen. Es war zwar immer noch Nachmittag, aber die Luft war kalt genug, dass die feuchten Kleider jegliche Wärme aus meinen Knochen zogen. Dennoch pressten meine blauen Lippen weiter Beschimpfungen hervor – mir war klar, dass die Kälte mich erledigen würde, wenn ich jetzt das Bewusstsein verlor. Zum Glück hatte mich das Wasser nicht
voll erwischt – ich war noch ausreichend trocken, dass ich am Leben blieb. Als sie mich bei Anbruch der Dunkelheit endlich herauszogen, war mein Haar allerdings gefroren und ich zitterte, als würde ich von einem schlimmen Fieber heimgesucht.
    Boathwaite und einige der Ältesten hatten in der Kapelle Stühle in einem Kreis aufgestellt. Sie setzten mich auf einen Hocker in der Mitte und fesselten meine Hände und Füße mit Rohlederriemen, so fest, dass sie in die Haut schnitten. Außerdem tat der Bruch in meinem Arm höllisch weh.
    Mit finsterer Miene erklärte der Reverend, dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als sich dem Willen seiner Gemeinde zu fügen und mich festnehmen zu lassen.
    Ich fragte sie, wie sie eigentlich dazu kämen, die Art meiner Behandlung für gerecht zu halten, und einer der Ältesten sprang zornig von seinem Stuhl auf und entgegnete, welches Recht eine falsche Schlange wie ich hätte, eine gerechte Behandlung zu erwarten. Ich sagte, er sei ja sehr mutig, mir zu drohen, gefesselt wie ich war, aber ich hätte noch immer keine Ahnung, was ich ihnen getan haben könnte, um einen solchen Hass zu verdienen.
    Boathwaite sagte, sie würden eine Reihe von Anklagen gegen mich prüfen, von denen Spionage die schwerwiegendste sei, sie wären aber auch sehr interessiert
daran, herauszufinden, aus welchem Grund ich mich als Mann ausgegeben hatte.
    Ich sagte, ich hätte mich nie als irgendetwas ausgegeben, hätte es aber auch nicht für nötig gehalten, die Leute zu korrigieren, wenn es ihnen einfiel, mich für einen Mann zu halten. Ihr könnt mich für was ihr wollt halten, sagte ich.
    Der Alte, der mich zuvor schon beleidigt hatte, sprang wieder auf und rief, ich sei eine Lügnerin und Hure und dergleichen mehr.
    Das ging selbst

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