Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Kohle oder Eisenerz: Der Tag hat zu wenige Stunden, das Jahr zu wenige Tage, um den enormen Bedarf des Wachstumslandes China zu befriedigen. 2003 begann der »Boom des Jahrhunderts«.
Australien produziert heute fünfmal mehr Rohstoffe als vor 30 Jahren. Ein modernes Australien ohne Rohstoffindustrie ist schlicht nicht vorstellbar. »Einmal mehr zeigt sich, dass wir eben doch das ›Lucky Country‹ sind, das glückliche Land«, sagt Damien, der Rohstoffexperte einer großen australischen Zeitung. Ich habe mit diesem Begriff schon immer Mühe gehabt. Erstens ist »Lucky Country« relativ schwierig auf Deutsch zu übersetzen, ohne dass die Bedeutung leidet. Denn »Glückliches Land« stimmt nicht. Es müsste eher »das Land, das Glück hat« heißen. Oder noch präziser: »das Land, das bisher immer unglaublich viel Schwein gehabt hat«. Zweitens wird in Australien wohl kein anderer Begriff unterschiedlicher und aus dem Zusammenhang gerissen verwendet als diese Bezeichnung, die der Schriftsteller Donald Horne im Jahr 1964 geprägt hat. Der Sozialkritiker, früher Journalist, später einer der wichtigsten australischen Autoren der Gegenwart, hatte sein bekanntestes Buch so betitelt. Er beschreibt darin das Australien der sechziger Jahre.
Das Werk war aber nicht etwa eine Liebes- und Lobesrede auf seine Heimat, wie der Titel den flüchtigen Leser vermuten lässt. Es war eine Verurteilung Australiens – seiner Politiker, seiner Menschen. Der außerordentliche wirtschaftliche Wohlstand, den Australien in nur knapp 200 Jahren erreicht hat, sei in erster Linie das Produkt »der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen«. Während sich andere industrialisierte Länder mit »cleveren« Methoden entwickelt hätten, meinte Horne, verpasste es Australien, in Forschung, Technik, Ausbildung und Innovation zu investieren. Sein Land zeige »weniger Unternehmungsgeist als so ziemlich jede andere prosperierende industrialisierte Gesellschaft«. Und trotzdem hat es einen enorm hohen Lebensstandard. Horne hatte zeit seines Lebens wenig Erfolg mit seinem Bestreben, Australien von der wahren Botschaft seines Werkes zu überzeugen. Denn sein Heimatland bevorzugte es, den zweiten Teil seines Zitats zu verdrängen. Das »Lucky Country«, so der Autor im Buch, werde nämlich »geführt von zweitrangigen Menschen, die sein Glück teilen«.
Horne konnte den jahrzehntelangen Missbrauch seiner Worte nicht ausstehen: »Ich musste mir den haarsträubendsten Mist anhören, als eine Generation nach der anderen diese Formulierung falsch anwendete«, meinte er einmal.
Es vergehen viele Stunden, in denen wir in unserem Privatjet über das spröde australische Inland gleiten. Stunden zum Nachdenken. Die ungeheuren Mengen an Rohstoffen sind Segen und Fluch zugleich, glaubt auch mein australischer Kollege Damien. »Eigentlich muss dieses Land seinen kollektiven Finger nie aus dem kollektiven Arsch ziehen«, sagt er in seiner robusten Art, »und kann trotzdem ein Leben in Saus und Braus führen. Wir sind wirklich das ›Lucky Country‹, weil wir bisher immer Schwein gehabt haben.« Derartige Selbstkritik höre ich selten von Australiern. Rohstoffe und die Rohstoffindustrie sind eine Art heilige Kuh. Nur wenige sind bereit, sie zu schlachten.
Paul Cleary ist einer der Metzger. »Australien produziert mehr als eine Milliarde Tonnen Mineralien pro Jahr, und das ist nur das Endprodukt«, sagt der Journalist und Buchautor. »Es ist genügend Material, um 3000 der größten Frachtschiffe der Welt zu füllen. Doch unseren Politikern fehlen Mut und Wille, um zu garantieren, dass wir und unsere Nachkommen eine lange anhaltende Hinterlassenschaft dieses ›Jahrhundertbooms‹ haben.«
Während wir in Richtung Nordaustralien fliegen, blicke ich auf das endlos scheinende Rot des Outback. Wie ein Pickel auf dem Gesicht eines Teenagers unterbricht immer mal wieder eine Mine das Bild unter uns. Dieser Boom, der fünfte in der kurzen Geschichte des modernen Australien, habe erst gerade begonnen, sagen viele Experten. Die Nachfrage nach Mineralien, mit denen die industrielle Revolution und Urbanisierung in Asien angetrieben wird, werde – von ein paar Schwankungen abgesehen – Jahrzehnte anhalten. Seit 2003 fließen ungeheure Mengen Geld in die Kassen der Rohstoffkonzerne. Im Jahr 2000 hatte die australische Bergbauindustrie noch Einnahmen von insgesamt 43 Milliarden Dollar verbucht. Zehn Jahre später waren es 195 Milliarden Dollar. Nicht nur die
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