Welch langen Weg die Toten gehen

gestern sind die Verbündeten von heute. Aber sobald man tiefer gräbt, wird man feststellen, dass diese oberflächlichen Regeln nicht mehr gelten. Dort unten wird ein ganz anderes Spiel gespielt – Sanktionen werden umgangen, illegale Waffengeschäfte getätigt, abgelaufene Medikamente verscherbelt –, und es zählen nur zwei Dinge: Profit und nicht erwischt zu werden. Es ist wie bei der Schwarzarbeit, die Arbeit wird getan, ohne dass die Steuerbehörden damit belästigt werden. Nur findet es in einem sehr viel größeren Maßstab statt, wobei vieles von offiziellen Stellen gedeckt wird und alles in rote Farbe getaucht ist, weil in Menschenleben gezahlt wird.«
    Er hielt inne, offensichtlich selbst ein wenig von seinen leidenschaftlichen Worten überrascht.
    »Liest du wieder Ellies E-Mails?«, fragte Dalziel.
    »Nein, Sir«, antwortete Pascoe müde. »Nur die Zeitungen und zwischen den Zeilen. Ich habe gedacht, durch den elften September hätte sich etwas geändert. Nein, ich bin mir sicher, dass sich einiges geändert hat. Aber es gibt immer eine Menge Leute, die bereit sind, noch schnell ein wenig Kohle zu machen, auch wenn sie die vier Reiter der Apokalypse bereits über den Himmel galoppieren sehen. Du sagtest, du hättest nie mehr von Linda Steele gehört?«
    »Kein Sterbenswörtchen. Bin im Haus immer wieder mal auf Dinge gestoßen, die sie hat liegen lassen, und komisch, ich hab sie wirklich vermisst, trotz allem, was sie getan oder versucht hat zu tun. Aber sie hat sich nie wieder blicken lassen, weder hier noch drüben, soweit Dave Thatcher es nachverfolgen konnte. Aber, wie gesagt, sie war ein kluges Mädel, klug genug, um zu wissen, dass ihr keine große Zukunft beschieden sei, wenn sie nach Hause ging und ihrem krummen Boss erzählte, dass sie es hier verpfuscht hatte. Ich nehme also an, dass sie das getan hat, was sie sowieso vorhatte: still und leise den Abschied nehmen und irgendwo anders eine neue Karriere beginnen.«
    »Und du hast nie herausgefunden, wie Kay die Negative zurückbekommen hat?«
    »Nicht von ihr, aber ich kann’s mir denken. Durch wen schon? Nicht selbst, oder? Nein, sie muss Kafka erzählt haben, was Linda vorhatte, und er hat sich darum gekümmert. Ich hab keine Fragen gestellt, ich war nur froh, nicht mehr am Haken zu hängen.«
    »Du hast dich nie gefragt, ob ihr nicht etwas Unschönes zugestoßen ist?«
    »Etwas …? Was willst du mir damit sagen, Pete? Etwas Unschönes, du meinst damit etwas Tödliches? Um Gottes willen, wir sind hier in Mid-Yorkshire und nicht im Nahen Osten. Außerdem werden in meinem Revier keine Menschen umgebracht, ohne dass ich es mitbekomme. Und Kay mag vielleicht über einige nicht ganz so legale Dinge hinwegsehen, aber sie würde nie mit ansehen, wie einer anderen Frau etwas zustößt, da bin ich mir ganz sicher. Nein, Linda sitzt irgendwo, während wir hier über sie reden, irgendwo, wo es warm ist und angenehm, mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Glas in der Hand, und wenn ich sie je wiedersehen sollte, würde ich ihr sagen, gib mir einen Kuss und lass uns auf die guten alten Zeiten anstoßen.«
    Willst du blindes Vertrauen, dachte sich Pascoe, musst du einen Zyniker bekehren.
    »Okay, Sir«, sagte er brüsk. »Wie geht es jetzt weiter?«
    »Es ist dein Fall«, sagte Dalziel. »Alles, was ich sagen möchte: Versuch dich daran zu erinnern, worum es hier eigentlich geht. Hat sich Pal Maciver selbst umgebracht, darum geht es. Um sonst nichts. Wenn es so war, ist dieser ganze andere Scheiß irrelevant.«
    »Glaubst du noch immer, dass es so war, Sir?«, fragte Pascoe und überlegte, ob er bei dieser Gelegenheit zugeben sollte, dass er selbst mehr und mehr dieser Denkweise anhing.
    »Bislang hab ich nichts gehört, was auf anderes hindeutet. Und ich glaube, wir werden auch nichts anderes hören, es sei denn, wir versuchen es mal mit dem Tischklopfen und nehmen direkten Kontakt mit den Toten auf.«
    Mit perfektem Timing klopfte es an der Tür.
    »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Pascoe.
    Und Pascoe drehte sich um und starrte dem Tod ins Antlitz.
    Glücklicherweise gehörte das Gesicht in diesem Fall zu Arnold Gentry, dem Chef des gerichtsmedizinischen Labors, von dem das Gerücht ging, dass er einmal in einem Krankenhaus-Wartezimmer einschlief und erst auf einem Tisch wieder aufwachte, gerade noch rechtzeitig, um den zu einem ersten Schnitt ansetzenden Pathologen am Handgelenk zu fassen. Der Humor bei der Polizei bewegt sich auf den