Welch langen Weg die Toten gehen
Tod war mir das Haus unheimlich –, aber Pal blieb hart. Kein Verkauf. Wahrscheinlich meinte er, er habe jede andere Schlacht gegen sie verloren, aber diese wollte er gewinnen. Es war der Wohnsitz der Familie, sagte er, und es sollte in der Familie bleiben, bis alle drei von uns in der Lage seien, eine reife Entscheidung zu treffen, ohne Einfluss von außen. Womit er natürlich Kay meinte.
Nachdem Helen achtzehn wurde und heiratete, machte sie schnell klar, dass sie nach wie vor für den Verkauf war. Pal gab seine Einwände auf, und deshalb ist es jetzt ausgeschrieben. Es gibt bislang nicht viele Interessenten, aber irgendwann wird es verkauft werden, und wenn man sich ansieht, wie in den letzten Jahren die Immobilienpreise in die Höhe geschossen sind, war es vom finanziellen Standpunkt aus gesehen vielleicht gar nicht so schlecht, den Verkauf so lange aufgeschoben zu haben.
Und Kay, sie ist immer noch ganz dick mit Helen befreundet. Ich weiß nicht, wie es ihr damit geht, dass sich die Beziehung zwischen uns und Helen verbessert hat – der Hausverkauf kam voran, Pal und Jason spielten zusammen Squash –, aber sie ließ uns in Ruhe. Mich jedenfalls. Ich habe den Eindruck, Pal ist mit ihr irgendwann wieder aneinandergeraten, er war immer noch so voller Wut, wenn ihr Name auch nur erwähnt wurde. Und ich weiß, wie er sich gefühlt haben musste, denn ich weiß, wie ich mich gefühlt habe, als ich sie letzte Nacht wieder getroffen habe, das erste Mal seit Urzeiten. Es kam alles wieder hoch. Gut, ich war hackedicht und hatte Angst um Pal. Aber das erklärt nicht meine Reaktion. Ich hab sie gesehen und gewusst, was ich immer gewusst habe – dass in ihr was Finsteres schlummert, das sie nicht beherrschen oder verbergen kann. Sie lässt sich zwar im Tageslicht blicken, aber im Grunde gehört sie der Nacht.
Sie meinten, Sie wollen Pals Gemütszustand verstehen, warum er Daddys Selbstmord kopiert hat. Da kann ich Ihnen nicht helfen, zumindest nicht mit irgendwelchen konkreten Dingen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es gemacht hat, und ich kann auch nicht erklären, warum, aber ich bin mir absolut sicher: Wenn Sie nur tief genug bohren, wird sich zeigen, dass diese gerissene, manipulierende amerikanische Schlampe hinter dem Tod meines geliebten Bruders steckt.
12
Lunch im Mastaba (1)
D reihundert Kilometer weiter südlich war Tony Kafka beim ersten Klingeln seines Handys aus dem Speisesaal des Mastaba Club geflohen, nachdem er nur zu gut wusste, wie sehr es den (in St. James’s-Kreisen respektlos als Mastabatoren bezeichneten) Clubmitgliedern missfiel, wenn sie daran erinnert wurden, dass die alte Königin bereits das Zeitliche gesegnet hatte.
Sein Gastgeber blickte ihm nach. Dessen Name lautete, nicht unpassend, Victor Warlove. Seine Position (wie passend diese war, bliebe zu diskutieren) lautete Leiter der Abteilung für Überseehilfe. Er war ein kleiner Mann, sehr stämmig, sogar sein Kopf war stämmig und ansonsten vollkommen kahl, ein Mangel, den er durch einen so haarigen Harris-Tweedanzug kompensierte, dass man diesen scheren und sich daraus einen passenden Vorleger hätte machen können.
Ganz im Gegensatz dazu war der andere Mann am Tisch sehr dünn, sehr groß und als Person samt seinem Anzug so glatt, dass eine Fliege sich schwer getan hätte, auf ihm zu landen.
Es handelte sich um Timothy Gedye, den einer seiner Pässe als Staatsbeamten auswies, dessen tatsächlicher Job aber ebenso schwer zu fassen war wie er selbst.
Warlove nahm die Karaffe zur Hand und schenkte das Glas seines Gefährten mit Wein voll – Wein, so leuchtend rot wie Blut –, und dabei sagte er: »Der Weinhändler ist ein erstaunlicher Mann, da er Besseres verkauft, als er kaufen kann.«
»Vielleicht sollten Sie die Branche wechseln, Victor«, sagte Gedye.
Er hatte dieses typisch englische Gesicht mit einem Mund, bei dem sich nur die dünne Unterlippe bewegte, wenn sie die perfekt betonten Silben hervorstieß, damit diese dann wie trockenes Laub raschelnd zu Boden schwebten.
»Und mein Land meiner Dienste berauben? Denk ja nicht im Traum dran. Also, was halten Sie bislang von ihm?«
»Ohne vorschnell urteilen zu wollen, aber ich habe das leise Gefühl, dass unser Freund nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache ist.«
»Mein Gott«, sagte Warlove. »Ich hoffe sehr, dass Sie sich irren. Er ist seit vielen Jahren ein wertvoller Mitarbeiter. Aber ich habe einige radikale Veränderungen bei unseren transatlantischen Freunden
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