Wellenbrecher
griff in die Hüfttasche seiner Jeans und zog einen Zeitungsausschnitt heraus. »Ich habe hier etwas, das ich Ihnen gerne vorlesen würde. Es sind die abschließenden Worte des Richters an Healey, bevor er das Urteil verlas.« Er glättete das Stück Papier auf seinem Schoß. »›Sie sind ein gebildeter Mann mit hoher Intelligenz und einer gewinnenden Art‹«, las er, »›und diese Eigenschaften machen Sie äußerst gefährlich. Sie mißachten die Gefühle Ihrer Opfer auf gnadenlose Weise, während Sie gleichzeitig eine Menge Charme und Intelligenz einsetzen, um sie von Ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen. Zu viele Frauen wurden von Ihnen getäuscht, als daß irgend jemand noch glauben könnte, daß Ihr Erfolg lediglich der Leichtgläubigkeit‹« - er betonte die Worte - »›Ihrer Opfer zuzuschreiben ist, und ich bin überzeugt, daß Sie eine echte Gefahr für die Gesellschaft sind.‹« Er legte den Zeitungsausschnitt aufs Bett. »Selbst der Richter hat bestätigt, daß Healey in der Tat ein charmanter und intelligenter Mann war.«
»Alles nur Gerede«, entgegnete sie schroff, während sie trostsuchend Berties Ohren kraulte. »Er war ein blendender Schauspieler.«
Ingram dachte an Steven Hardings äußerst bescheidene schauspielerische Fähigkeiten und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, widersprach er behutsam. »Niemand könnte sich ein ganzes Jahr lang so gut verstellen. Der Charme war echt, und das war es, was Sie und Maggie so anziehend an ihm fanden. Mir scheint, das ist genau der Punkt, der Ihnen Probleme bereitet und mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen. Die Tatsache, daß Sie ihn mochten, macht den Verrat noch um so schlimmer.«
»Nein.« Sie zog unter dem Kopfkissen ein Kleenex hervor und schneuzte sich. »Was mich viel mehr aufregt, ist, daß ich allen Ernstes glaubte, er hätte uns gern. Es ist doch nicht so schwer, uns zu lieben, oder?«
»Überhaupt nicht. Ich bin sicher, er hat Sie beide angebetet. So wie es jeder tut.«
»Ach, reden Sie doch keinen Unsinn!« fuhr Celia ihn an. »Dann hätte er uns doch nicht beklaut.«
»Aber natürlich hätte er das getan.« Ingram stützte sein Kinn in beide Hände und blickte sie aufmerksam an. »Ihr Problem ist, daß Sie eine Konformistin sind, Mrs. J. Sie glauben, daß alle sich gleich verhalten und auch gleich verhalten sollten. Aber Healey war ein professioneller Hochstapler. Diebstahl war sein Geschäft. Er hat zehn Jahre lang davon gelebt, vergessen Sie das nicht. Aber das bedeutet nicht, daß er Sie nicht gern hatte; ebensowenig, wie es bedeuten würde, daß ich Sie nicht gern hätte, wenn ich Sie morgen verhaften müßte.« Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. »Wenn wir nicht verhungern wollen, tun wir in diesem Leben das, worin wir gut sind. Aber das hindert uns nicht daran, Rotz und Wasser zu heulen, wenn es uns gegen den Strich geht.«
»So ein Quatsch!«
»Finden Sie? Glauben Sie, es macht mir Freude, einen zehnjährigen Jungen wegen mutwilliger Sachbeschädigung festzunehmen, wenn ich weiß, daß bei ihm zu Hause schlimme Zustände herrschen, daß er die Schule schwänzt, weil er nicht lesen kann, und von seiner trunksüchtigen Mutter wahrscheinlich eine Tracht Prügel bekommt, weil sie zu dumm ist, anders mit ihm umzugehen? Ich verwarne den Jungen, weil das meine Pflicht ist, aber er ist mir immer noch lieber als seine unfähige Mutter. Kriminelle sind Menschen wie jeder andere, und es gibt kein Gesetz, das besagt, daß sie nicht liebenswert sein können.«
Sie sah ihn über die Ränder ihrer Bifokalbrille hinweg an. »Ja, aber Sie haben Martin nicht gemocht, Nick, also tun Sie jetzt nicht so als ob.«
»Nein, ich mochte ihn nicht«, bekannte er, »aber das war eine ganz persönliche Sache. Ich habe den Mann für einen Schwätzer gehalten. Aber wenn ich ehrlich bin, muß ich zugeben, daß ich Mrs. Fielding nicht einen Moment lang geglaubt habe, als sie ihn beschuldigte, er habe ihre Antiquitäten stehlen wollen. In meinen Augen war er absolut ohne Tadel… einfach perfekt… der Traummann jeder jungen Frau.« Sein Lächeln wurde noch etwas schiefer. »Ich war ziemlich sicher - und bin es immer noch, weil die Geschichte so gar nicht zu Healeys sonstiger Verfahrensweise paßte -, daß sich die alte Mrs. Fielding das alles nur eingebildet hatte. Ich habe mich damals nur deshalb an Sie gewandt, weil ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, ihn ein bißchen schlechtzumachen.« Er hob den Blick und sah sie
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