Wellenbrecher
schwierig es war, vor den glänzenden dunklen Felsen am Fuß der Landspitze ein schwarzes Schlauchboot auszumachen, und überprüfte deshalb alle Abschnitte, die er bereits abgehakt hatte, noch ein zweites Mal. Er hatte auch kein allzu großes Vertrauen in seine eigene Schätzung, daß ein auf dem Wasser treibender Gegenstand, der am Sonntag abend gegen 18 Uhr 15 etwa dreihundert Meter vor Seacombe Cliff gesichtet worden war - denn bis dorthin müßte seiner Berechnung nach eine Fairline Squadron gekommen sein, wenn sie von St.-Alban’s-Kap aus zehn Minuten lang mit fünfundzwanzig Knoten gefahren war -, ungefähr sechs Stunden später auf halbem Weg zwischen Blackers Hole und Anvil Point gestrandet sein könnte. Er wußte, wie unberechenbar die See war, wie höchst unwahrscheinlich es war, daß ein nur teilweise mit Luft gefülltes Schlauchboot überhaupt jemals angetrieben wurde. Sehr viel wahrscheinlicher war, daß es sich mittlerweile entweder auf dem Weg nach Frankreich befand - immer vorausgesetzt, es hatte überhaupt existiert - oder aber zwanzig Faden unter der Wasseroberfläche.
Er entdeckte es schließlich etwas östlich von der Stelle, die er errechnet hatte, und er lächelte mit berechtigter Befriedigung, als er es durch das starke Fernglas ausmachte. Es lag kieloben, von Holzboden und Holzsitzen in Form gehalten, auf einem unzugänglichen Stück Strand. Mit seinem Handy rief er Inspector Galbraith an.
»Haben Sie Lust auf eine kleine Bootstour?« fragte er. »An diese Badewanne kommen wir nämlich nur mit einem Boot ran. Wenn Sie in Swanage auf mich warten, kann ich Sie heute abend mit rausnehmen. Sie brauchen Ölzeug und hohe Gummistiefel«, warnte er. »Es wird nämlich eine ziemlich feuchte Angelegenheit werden.«
Ingram hatte zwei Freunde aus Swanage mitgenommen, die zur Besatzung des dortigen Seenotrettungskreuzers gehörten. Sie hielten die Miss Creant in Position, während er Galbraith in seinem Schlauchboot an Land brachte. Dreißig Meter vor der Küste schaltete er den Außenbordmotor aus und kippte ihn aus dem Wasser. Mit Hilfe der Ruder manövrierte er das Boot vorsichtig zwischen den scharfkantigen Granitbrocken hindurch, die hier auf den unbesonnenen Seefahrer lauerten. Er stabilisierte das kleine Boot an einem großen Felsblock, wies Galbraith mit einer Kopfbewegung an, aus dem Boot zu klettern, und folgte ihm dann ins Wasser. An der Fangleine zog er das jetzt fast gewichtslose Schlauchboot zu dem öden kleinen Stück Strand.
»Da liegt es.« Er zeigte nach links, während er sein Boot auf den Strand hinauf trug. »Weiß der Himmel, wie es hierhergekommen ist. Man läßt doch nicht ohne guten Grund ein Beiboot sausen, das völlig in Ordnung ist.«
Galbraith schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie zum Teufel haben Sie es entdeckt?« Er blickte an den steilen Klippen über ihnen hinauf. Es mußte wie die Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen gewesen sein.
»Einfach war’s nicht«, bekannte Ingram, schon auf dem Weg zu dem gestrandeten Boot. »Interessanter ist die Frage, wie es die Felsen überstanden hat.« Er beugte sich über den umgedrehten Rumpf. »Es muß kieloben zwischen den Felsen durchgetrieben worden sein, sonst hätte es den Boden rausgerissen, und das heißt, daß wir im Innern nichts mehr finden werden. Trotzdem« - er zog fragend die Augenbraue hoch -, »wollen wir’s umdrehen?«
Mit einem Nicken packte Galbraith am Heck an, während Ingram an der Gummiverschalung am Bug anfaßte. Sie hatten Mühe, das Boot herumzuhieven, weil die Konstruktion wegen des Luftmangels nicht genügend Festigkeit hatte, und das Boot sank in sich zusammen wie ein durchlöcherter Ballon. Ein kleiner Krebs krabbelte darunter hervor und flüchtete in eine Wasserlache zwischen den Felsen. Wie Ingram vorhergesagt hatte, war das Boot leer bis auf die hölzernen Bodenplanken und die Überreste einer zerbrochenen Sitzbank. Es war jedoch ein relativ großes Boot, ungefähr drei Meter lang und einen Meter zwanzig breit, und das Heck war unversehrt.
Ingram wies auf die Einkerbungen, die die Klemmschrauben eines Außenbordmotors im Holz hinterlassen hatten, und ging in die Hocke, um die zwei Metallringe am Heck und den einzelnen Ring in der Bodenbeplankung vorn am Bug zu begutachten.
»Es war irgendwann mal achtern auf einem Bootsdeck an Davits aufgehängt. An diesen Ringen werden die Stahltrossen festgemacht, ehe das Beiboot hochgewinscht wird, damit es während der Fahrt nicht hin
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