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Wellenbrecher

Titel: Wellenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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heftiger erschrak, Maggie oder Steven Harding, als dieser plötzlich vor ihr aus dem Boden zu wachsen schien, nachdem er sich über den Rand der Klippen gezogen hatte, wo das Tal fast senkrecht zum Meer hin abfiel. Sekundenlang kauerte er reglos auf allen vieren vor ihr. Sein Gesicht war bleich und unrasiert, er atmete keuchend und sah bei weitem nicht mehr so attraktiv aus wie am vergangenen Samstag. Mehr wie ein Vergewaltiger; weniger wie ein Hollywoodstar. Er strahlte etwas erschreckend Gewalttätiges aus, und seine dunklen Augen hatten plötzlich etwas Berechnendes, das Maggie vorher nicht aufgefallen war, aber erst als er sich abrupt zu seiner vollen Größe aufrichtete, schrie sie erschrocken auf. Ihre Beunruhigung teilte sich sofort Stringer mit, der rückwärts tänzelte und sich vom Zaun losriß, und dann auch noch Bertie, der mit gesträubtem Fell auf die Beine kam.
    »Sie gottverdammter Idiot!« brüllte sie und machte ihrer Furcht mit wütenden Flüchen Luft, als sie Stingers nervöses Schnauben und das Stampfen seiner Hufe hörte. Sie fuhr herum und versuchte, die Zügel des Wallachs zu fassen zu bekommen, ehe er durchging, aber sie schaffte es nicht.
    O Gott, wenn er nur nicht... wir brauchen doch das Geld... was soll ich bloß machen, wenn er in seiner Panik zu Schaden kommt... bitte, lieber Gott, bitte...
    Doch aus irgendeinem unerfindlichen Grund schoß Harding an ihr vorbei und direkt auf Stinger zu, und das Pferd galoppierte mit rollenden Augen davon und raste in wilder Panik den Hang hinauf.
    »Scheiße!« brüllte Maggie. Ihr Gesicht war zu einer häßlichen, zornigen Grimasse verzerrt, als sie auf Harding losging. »Wie kann ein Mensch nur so dämlich sein, Sie - Sie widerlicher Kerl! Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht! Wenn Nick Ingram wüßte, daß Sie hier sind, würde er Sie fertigmachen, das schwör ich Ihnen. Er hält Sie sowieso schon für einen Scheißperversen!«
    Sie war völlig unvorbereitet auf den Schlag mit dem Handrücken, der sie mitten ins Gesicht traf, und als sie zu Boden stürzte, hatte sie nur einen Gedanken im Kopf: Was zum Teufel bildet dieser Idiot sich eigentlich ein...?
     
    Ingram sah verschlafen blinzelnd auf seinen Wecker, als um halb sieben Uhr morgens sein Telefon läutete. Als er abnahm, hörte er nichts als eine Folge schriller, unverständlicher Laute, konnte aber immerhin die Stimme Maggie Jenners erkennen.
    »Beruhigen Sie sich erst mal«, sagte er, als sie endlich eine Pause einlegte, um Luft zu holen. »Ich verstehe kein Wort.«
    Erneutes schrilles Gejammer.
    »Reißen Sie sich zusammen, Maggie«, sagte er streng. »Sie sind doch sonst keine Heulsuse!«
    »Entschuldigen Sie«, antwortete sie, unverkennbar bemüht, sich zusammenzunehmen. »Steven Harding hat mich geschlagen, da ist Bertie auf ihn losgegangen... Es ist alles voll Blut... Ich habe an seinem Arm einen Druckverband angelegt, aber er funktioniert nicht richtig - ich weiß nicht, was ich sonst tun soll... Ich habe Angst, daß er stirbt, wenn er nicht schnellstens ins Krankenhaus kommt.«
    Ingram setzte sich auf und rieb sich erst einmal heftig das Gesicht, um den Schlaf zu vertreiben. Er konnte das weiße Rauschen leeren Raums hören und im Hintergrund Vogelgezwitscher. »Wo sind Sie überhaupt?«
    »Am Ende des Tals hinter dem Steinbruch... bei den Stufen vom Küstenwanderweg... auf halbem Weg zwischen Chapman’s Pool und St.-Alban’s-Kap... Stinger ist mir durchgegangen, und ich habe Angst, er bricht sich das Bein, wenn er über die Zügel stolpert... Dann verlieren wir alles... Ich glaube, Harding liegt im Sterben…« Ihre Stimme wurde leiser, als sie offenbar den Kopf drehte. »...fahrlässige Tötung... Bertie war nicht zu bändigen...«
    »Ich kann Sie kaum noch hören, Maggie«, brüllte er.
    »Entschuldigen Sie.« Sofort war ihre Stimme wieder da. »Er reagiert nicht mehr. Vielleicht hat Bertie eine Arterie verletzt, aber ich krieg den Verband nicht fest genug, um die Blutung zu stillen. Ich hab Berties Leine genommen, aber sie sitzt nicht fest genug, und die Stöcke hier sind alle so morsch, daß sie dauernd abbrechen.«
    »Dann lassen Sie die Leine und versuchen Sie es mit was anderem - mit etwas, das Sie gut fassen können - einem T-Shirt vielleicht. Wickeln Sie es ihm so fest wie möglich oberhalb des Ellbogens um den Arm und drehen Sie die Enden zusammen, damit Druck entsteht. Wenn das nichts hilft, dann versuchen Sie, die Arterie an der Unterseite seines Oberarms mit den

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