Wellentänze: Roman (German Edition)
beide ihren Kaffee trinken konnten. Als sie fertig waren, brachte Ralph die Becher zurück und überließ Julia wieder ihrer Arbeit. Sie fühlte sich sehr wohl auf ihrem Posten; von unten wärmte sie der Ofen, und ihr Blick glitt über die Landschaft, an der sie vorbeifuhren. Langsam und beinahe gegen ihren Willen erfasste sie der Zauber der Kanäle: ein schmaler Streifen Wasser, der sich durch Felder, bewaldete Täler und Wohngebiete zog oder sich mit derselben hartnäckigen Entschlossenheit um Fabriken schlängelte. Jetzt wurde die ländliche Idylle deutlich städtischer, und Julia konnte in der Ferne Kinder auf einem Schulhof ausmachen, als Ralph wieder neben sie trat.
»Nun beginnt Ihre eigentliche Lehrzeit. Wir haben zwei ausgesprochen scharfe Kurven vor uns.«
Julias gesammeltes Selbstbewusstsein schmolz dahin wie Schnee in der Sonne. »Dann übernehmen Sie wohl besser das Ruder.«
»Unfug. Sie müssen es lernen, und wenn Sie das Boot auf die Böschung setzen, tun Sie das besser, solange ich noch hier bin, um Sie vor Jason zu beschützen.«
Julia zog den Kopf ein, sodass Nase und Mund in ihrem Mantelkragen verschwanden, und quiekte.
Ralph ignorierte diesen Hinweis auf fehlenden Mut. »Also, warten Sie, bis Sie glauben, auf dem Ufer aufzulaufen, und dann schwingen Sie den Helm ganz herum, und zwar in die entgegengesetzte Richtung, die Sie normalerweise wählen würden. Auf diese Weise schiebt Ihre Nase das Achterschiff des Schleppers durch die Kurve. Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen vierzig Meter langen Sattelschlepper vor sich.«
»Ich habe mich gerade daran gewöhnt, das Ruder in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen, wenn ich irgendwohin fahren will, und jetzt muss ich wieder das Gegenteil tun. Ich glaube, ich kriege einen Nervenzusammenbruch«, brummte Julia
»Wir wollen so um die Kurve herumfahren, dass es genau passt.« Und wider Erwarten manövrierten sie die beiden Boote ohne Zwischenfälle um die Biegung. Ralph kletterte auf das Dach des hinteren Bootes. »So, nun überlasse ich Ihnen das Kommando. Vor uns liegt die zweite scharfe Kurve.« Er zeigte mit einem schmuddeligen Finger auf die betreffende Seite in dem Führer. »Jetzt sind wir hier. Was meinen Sie, schaffen Sie das?«
»Nein«, rief sie seinem entschwindenden Rücken nach. Aber dann schaffte sie es doch.
»Hatton kann man in weniger als zwei Stunden schaffen«, sagte Jason mit vollem Mund. Er meinte die Folge von Schleusen, die vor ihnen lag und wie eine Treppe bergan führte. »Ihr könnt die ganze Schleusenflucht Seite an Seite durchfahren. Wir müssten zu viert eigentlich damit fertig werden, selbst wenn zwei von uns nur kleine Mädchen sind.«
Allein ihr Bärenhunger und eine gewisse Rücksicht auf Ralphs Gefühle hinderten Julia daran, Jason ihr Sandwich an den Kopf zu werfen. Und Suzys Miene nach zu urteilen, war sie ungefähr genauso wütend. Sie hatten nur Zeit für einen kurzen Imbiss, weil sie noch ihre Wasservorräte auffüllen mussten. Donald und Ted hatten sich vor einiger Zeit verabschiedet und sich von einem kleinen Kajütkreuzer mit zur Werft zurücknehmen lassen.
»Die Bemerkung war eine Spur sexistisch, meinst du nicht auch, Jason?«, fragte Suzy.
Er leerte seine Bierdose und rülpste. »Wenn ihr Mädels die Bedienung der Schleusen übernehmt, fülle ich gern für euch die Wassertanks auf.«
Suzy und Julia tauschten einen Blick und schworen heiße Rache. »Jason mag ja ein erstklassiger Bootsmann sein, aber was das Zwischenmenschliche angeht, lässt er einen Neandertaler wie Sir Lancelot aussehen.« Suzy schwang drohend die Kurbel ihrer Winde. »Es überrascht mich gar nicht, dass seine Freundin ihm weggelaufen ist.«
»Weißt du, was da los war?«
»Anscheinend gehörte sie zur Mannschaft und war irre gut in ihrem Job, aber Jason hat sich ihr gegenüber eines Tages absolut grässlich benommen. Sie ist mit dem Fahrrad zum Hochkurbeln der Schütze gefahren – was wir im Augenblick auch tun –, und ein Schleusenwärter hat sie in Tränen aufgelöst gefunden. Sie weigerte sich, auf das Boot zurückzukehren, und Ralph verlor die beste Köchin, die er je gehabt hatte.«
»Er hätte Jason kündigen sollen.«
»Das habe ich auch gesagt, aber Ralph meinte, jemand, der sich so gut auf Boote versteht wie Jason, ist so selten wie Goldstaub. Es ist viel schwerer, einen guten Bootsmann zu bekommen als eine gute Köchin ... Oh, nichts für ungut«, fügte sie ein wenig zu spät hinzu.
Der Rest des Tages flog
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