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Weller

Weller

Titel: Weller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit
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alles. Nicht mehr und nicht weniger. Außerdem war ich fast einen Kopf größer und wog schätzungsweise zwanzig Kilo mehr als er. Da fiel ein Lichtstrahl unter der Tür hindurch, die anscheinend lautlos hinter ihm zugeklappt war und die er nun vor mir aufriss. Geblendet trat ich in das ein, was wohl sein Atelier war. Eine kaum zwei mal zwei Meter große Kammer, deren Fenster mit Holzlatten verrammelt war.
    Natürlich verstehe ich nicht wirklich etwas von Kunst, bin eher interessierter Laie, was künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten anbelangt. Aber ich habe im Laufe der Jahre, die ich mit Ellen zusammen bin, so einiges gelernt, bin sicherer in meinem Urteil geworden. Das, was ich nun sah, ließ als spontane Reaktion ein lautes Lachen aus mir herausplatzen. Das winzige Zimmer war so gut wie unmöbliert. In der Mitte stand ein Gestell mit Farbtuben und Pinseln. An den Wänden hingen in Vierer- und Fünferreihen übereinander vielleicht aktenordnergroße, ungerahmte Leinwände, die – mit ein wenig gutem Willen gesprochen – menschliche Porträts in bonbonbunten Farben zeigten. Ich erkannte Frisuren, Bekleidungsteile, ja sogar Schmuckstücke – Perlenohrringe, Halsketten und auf einem Bild einen Ring mit einem großen grünen Stein an den aufeinanderliegenden Händen einer Frau. Alles in allem recht realistisch dargestellt.
    Doch bei jedem dieser Brustbilder war dort, wo man das Gesicht erwarten würde, nur eine wie von Kinderhand mutwillig übermalte Farbfläche ohne jegliche Kontur. Es wirkte, als hätte sich der Maler lustig machen wollen über die klassische Porträtmalerei, ja die etablierte Kunst ganz allgemein. So, wie ich es von Vertretern der Cheap-Art-Szene kannte, die vorzugsweise mit Acrylfarben auf Obstkisten, Treibholz oder Sperrholzplatten ihre oftmals humorvollen Sujets malten. Nur, dass ich dem Hausmeister so einen reflektierten, selbstironischen Umgang mit Malerei in keiner Hinsicht zutraute. Nein, ich hatte es mit einem völlig unbeleckten Stümper zu tun, der zwar ein gewisses Talent für die malerische Abbildung der Wirklichkeit hatte, bei menschlichen Gesichtern jedoch völlig versagte. Doch wollte ich ihn nicht kränken; das hatte diese einfache Seele nicht verdient.
    Was war ich doch für ein unsensibler Klotz geworden! Vollends beschäftigt mit meinen eigenen emotionalen Wehwehchen, hatte ich gleich zwei meiner Grundregeln missachtet: ACHTE DIE WÜRDE DER ANDEREN MENSCHEN! SEI FAIR UND EHRLICH IM UMGANG MIT ANDEREN! So stand es in dicken Lettern für die Klienten über meiner Bürotür. Und was tat ich, nur weil ich im Falle Zorns jämmerlich versagt hatte und vor Angst um Ellen bis vor kurzem völlig verrückt geworden war? Ich gab hier den Elefanten im Porzellanladen! Ich schämte mich.
    Mein Lachen stand im Raum, vibrierte in der stickigen Luft, sprang von den Wänden zurück, schlug uns um die Ohren, schien nie wieder aufhören zu wollen. Ich blickte den Maler verzweifelt an, wünschte nichts sehnlicher, als meine gedankenlose Reaktion ungeschehen zu machen. Er stand, bleich und mit starrem Blick, bewegungslos neben mir. Seine Arme hingen schlaff herab. Es schien, als hätte er sogar aufgehört zu atmen.
    Ich biss mir auf die Lippe, suchte nach Worten. Selbst wenn das dort der größte Schrott sein sollte, der jemals auf eine Leinwand aufgetragen worden war, hatte ich verdammt noch mal kein Recht, diesen armen Dilettanten auszulachen. Wahrscheinlich würde ich meine unbedachte Reaktion niemals wieder gutmachen können.
    Ich hatte Marcel Matzke zutiefst verletzt und glaubte, mir nur zu gut vorstellen zu können, was nun in ihm vorging.
    ***

»Sie hat was?« Ellen kräuselte die Stirn, stopfte sich ihr Kissen hinter den Kopf und sah mich ungläubig an.
    »Sie – dieses Mannsweib – hat mich beinahe vergewaltigt.« Ich kam mir selbst lächerlich vor, als ich es sagte, doch in der Situation dort im stickigen Atelier, in der schwülen, aufgeheizten Atmosphäre, war mir die Sache alles andere als komisch vorgekommen – auch wenn ich mit meiner unbeholfenen Flirterei die Sache forciert hatte, was ich Ellen tunlichst verschwieg. »Sie hat eine so starke Präsenz, dass du glaubst, ihrem Willen nichts entgegensetzen zu können. Aber keine Bange. Irgendwie habe ich mich ihrem Ansinnen entzogen und habe bei erster Gelegenheit das Weite gesucht.« Ich dachte schaudernd daran, wie die Amerikanerin sich rittlings auf meinen Schoß gesetzt, mich förmlich festgenagelt und ihre nach Rauch und Bier

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