Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Menschen nicht lange zwischen Holzwänden; man fand sich draußen im Gras bei den Pferden zusammen. Dabei wurden die kleinen Gruppen deutlich. Melitta war von ihren vier Pflegekindern umgeben. Die Geschwister Julia und Gerald saßen beieinander und luden Jerome Patton zu sich. Hanska gesellte sich zu den beiden wilden Buben, die er von der Schule her sehr gut kannte. Cora und Hugh blieben bei diesen dreien.
»Nun, was denkst du über unsere unblutige Schlacht?« fragte Hugh den Hanska.
Der Junge überlegte, ehe er antwortete.
»Sie haben die drei jungen Stiere auf unsere Weide herübergetrieben und auf unserer Weide herumgejagt. So war es doch, Gerald?«
»Es war so.«
»Wir wären mit diesen beiden Cowboys wohl fertig geworden«, urteilte Hanska selbstbewußt. »Aber nicht so leicht«, fügte er hinzu, um nicht als Prahlhans zu erscheinen. »Es war gut, daß ihr alle gekommen seid.«
»Müßte nicht immer jemand hier sein?« fragte Julia. »Unsere Nachbarn hecken zu viele Bosheiten aus.«
»Bleib du bei Melitta, wenn sie dich haben will«, schlug Gerald vor. »Du mit Jerome und Melitta zusammen, das ist nicht viel, aber etwas ist es doch.«
»Ja, etwas wäre es immerhin«, gab Julia bescheiden zu. Jerome wurde es heiß, aber er schaute nicht auf.
»Joe Inya-he-yukan muß entscheiden«, meinte Hanska, und damit war das Notwendige gesagt.
Gerald und Hanska waren müde; die Flanken ihrer Pferde waren naß. Für alle andern hatte das Erlebnis kaum länger als drei Minuten gewährt. Ihre Anstrengung war nicht körperlich gewesen, sondern hatte im schnellen Entschluß und im Nichtachten der Gefahr gelegen, beim Treiben unversehens über die Ranchgrenze hinaus zu gelangen und vielleicht beschossen zu werden. Das, was hätte geschehen können, und das, was wirklich geschehen war, beschäftigte einen jeden in Gedanken noch lange. Die Intensität eines gefährlichen Augenblicks band aneinander.
Fast ohne es zu wollen und ohne es für andere merkbar zu machen, beobachteten Hugh und Cora gemeinsam das Paar Julia und Jerome.
Die beiden waren nur wenige Jahre jünger als die Mahans. Julia Bedford war aufgestanden, in die Wiese hinausgegangen und hatte Jerome auf unhörbare und unsichtbare Weise veranlaßt, sich auch zu erheben und mit ihr zu kommen. Das Mädchen und der junge Bursche waren von fast gleicher Größe, sonst aber sehr ungleich, und das drückte sich schon in ihrer Gangart aus. Bei Julia schien es, als ob sie mit jedem Schritt auch zum Sprung ansetzen könne, Jerome aber ging gleichmäßig und erdgebunden, in gerader und ruhiger Haltung. Sein Nacken war aufgerichtet; er wollte sich einem stolzen Mädchen gegenüber an Stolz nichts vergeben, und es mußte jedem der beiden schwerfallen, das erste Wort zu finden, wenn es überhaupt einer suchen wollte.
»Sie sind einander so fremd«, sagte Cora leise zu Hugh. »Hast du Julia mit Ken tanzen sehen – ich meine, hast du das wirklich gesehen?«
»Ja.«
Was Cora ihren Mann fragte, frage Jerome sich selbst. Hatte er Julia und Ken so gesehen, daß er durch sie durchschaute? Schnitt ihn noch die Eifersucht ins Fleisch, oder streichelte ihn schon wieder wohltuende Hoffnung? Was war gewesen? Was ging ihn das überhaupt an?
Jerome war nicht gewohnt, mit sich selbst im unreinen zu leben. Die Verwirrung hatte erst Julia in ihn hineingepflanzt, und sie wucherte in ihm wie etwas Fremdes. Er konnte es nicht ausreißen, auch nicht stutzen wie einen Busch, den der Gärtner beschneidet. Er mußte es wachsen lassen, auch wenn er Schmerzen dabei litt.
Was für ein Mädchen war Julia? Sie hatte Hugh Mahan geliebt, das wußte Jerome, vielleicht wußte er es besser als sie selbst. Ein Schuljahr lang waren sie beide zusammen Schüler, und Mahan war ihr Lehrer gewesen. Eines Tages hatte er seine Frau Cora Magasapa mitgebracht wie einen fremd gewordenen Vogel, der in die Heimat zurückkehrte. Cora war schön und hatte etwas Verborgenes in sich; die Phantasie der Schüler spielte um sie. Jerome erinnerte sich, daß Julia in jenen Nachweihnachtstagen ruhig und sicher geblieben war, als habe sie alles gewußt, als sei sie Eingeweihte in ein Geheimnis, das sie mit Wasescha und Magasapa verband. Julia Tatokala hatte sich in den folgenden Winter- und Frühlingstagen verändert, soweit ein einmal gewachsener Mensch sich verändern kann. Ein Schimmer von Verzicht und zugleich von Überlegenheit über andere und sich selbst machte sie noch anziehender, da sie dabei ihre Kühnheit und
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