Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
seufzte; der Richter zog die buschigen Brauen hoch.
    »Byron Bighorn, wie machen Sie das, mit den Toten zu sprechen?«
    »Das kann ich Ihnen nicht erklären. Sie würden es doch nicht begreifen, weil Sie nicht träumen können.«
    »Mit welchen Toten wollten Sie sprechen?«
    »Mit Häuptling Inya-he-yukan dem Alten und mit Patricia Bighorn, die sich selbst getötet hat, weil wir die Knechtschaft, in der wir leben müssen, ohne Gewalt anklagen wollen. So wollte auch ich handeln.«
    »Sie waren also nicht damit einverstanden, daß der Angeklagte Gewalt gebrauchte und schoß? Zeuge! Sehen Sie nicht nach dem Angeklagten, der Sie zu hypnotisieren versucht! Schauen Sie mich an!«
    »Dürfen Sie mir das befehlen? Ich bin nicht Ihr Schüler und kein Soldat. Sie schreien mich an. In einer Versammlung zu schreien erscheint uns roten Männern unwürdig.«
    Einige Zuhörer unterdrückten mit Mühe ihre Heiterkeit; das Rededuell Wakiyas mit dem Staatsanwalt wirkte als Groteske auf sie. Um Inya-he-yukans Mundwinkel zuckte ein verborgenes Lächeln.
    Es war die erste Regung, die er im Verlauf der Verhandlung wenigstens vor sich selbst verriet.
    »Beantworten Sie meine Frage, Byron Bighorn. Sie haben als Zeuge den Ernst eines Schwurgerichts zu achten.«
    »Damals war ich nicht damit einverstanden, daß Joe King schoß.«
    »Danke, das genügt. Sie wurden in angeblicher Notwehr gerettet, obgleich Sie selbst das gar nicht wünschten.«
    »Heute…«
    »Danke. Meine Fragen an Sie sind abgeschlossen.«
    Die Heiterkeit schwand von allen Mienen.
    Leroy holte sich die Erlaubnis, dem Zeugen seinerseits Fragen zu stellen.
    »Byron Bighorn, wie denken Sie heute?«
    »Einspruch!« meldete der Staatsanwalt an. »Die Frage betrifft nicht die Tatvorgänge.«
    »Ich verzichte auf die Frage. Byron, können Sie schießen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Philip Mac Lean in Deckung liegen sehen?«
    »Ja, soweit er zu sehen war.«
    »Was haben Sie beobachtet?«
    »Er hatte auf mich angelegt und wollte abdrücken.«
    »Konnten Sie das genau erkennen?«
    »Ja, genau.«
    »Hatten Sie begriffen, daß der Schuß tödlich für Sie sein mußte?«
    »Ja.«
    »Hätten Sie selbst sich dagegen wehren können, wenn Sie das überhaupt wollten?«
    »Nein. Ich hatte keine Waffe, und selbst wenn ich mich ins Gras geworfen hätte, hätte ich noch in seinem Schußfeld gelegen.«
    »Keine weiteren Fragen.«
    Der Staatsanwalt meldete sich noch einmal zu Wort.
    »Zeuge! Joe King hat Jerome Patton zugerufen: ›Hinlegen!‹ Steht das nicht mit Ihrer Aussage im Widerspruch, daß auch Hinlegen kein Schutz gewesen wäre?«
    »Es reimt sich zusammen. Nur wenn Jerome sich hinwarf, konnte Joe ihm Feuerschutz geben; Jerome stand in der Schußlinie zwischen George Mac Lean und Joe King. Aber ich befand mich nicht in der Schußlinie zwischen Joe und Philip.«
    »Was ist denn nun bei Ihnen Wahrheit, Bighorn? Ihre Träumereien sind wohl nur der Deckmantel Ihrer Schießerfahrungen? Gelehriger Schüler von Joe King.«
    »Es gehört alles zusammen zu einem Menschen, zu einem Red Indian, Herr Staatsanwalt, wie Tag und Nacht zusammengehören und der Mond nicht ohne die Sonne leuchten kann.«
    Wakiya konnte den Zeugenstuhl verlassen; er schaute noch einmal nach Joe Inya-he-yukan; dieser verstand und erwiderte mit einem vollen Blick.
    Die Vernehmungen waren beendet. Die Plädoyers begannen, die sich an die Geschworenen richteten.
    »Erinnern Sie sich«, trug der Staatsanwalt vor, »daß George Mac Lean freigesprochen worden ist, weil er den Schuß auf Jerome Patton unter dem Eindruck unmittelbarer Bedrohung durch die Kings abgab. Dieser Eindruck mußte sich verstärken, als ein zweiter Bursche der King-Ranch in das Mac Lean-Gelände eindringen wollte und der Weißenhasser Hugh Mahan, der Philip Mac Lean schon einmal mit einem gefährlichen Karate-Griff geschädigt hatte, mit seiner Schußwaffe in Deckung bereit stand. Trotzdem hat George Mac Lean zum Zeichen seiner friedlichen Absichten das Gewehr nach seinem Schuß weggeworfen, und Philip Mac Lean hat keinen Schuß abgegeben. Er wurde von Joe King gewissenlos ermordet, sobald er sich die geringste Blöße gab. King, der als Meisterschütze bekannt ist, hätte Mac Lean nicht zu töten brauchen, selbst wenn er Byron Bighorn für bedroht hielt. Er hätte in den Lauf von Mac Leans Gewehr schießen können, statt den absolut tödlichen Schuß zwischen die Augen abzugeben. Er hat auch nicht spontan gehandelt; das gibt es bei solchen kaltblütigen

Weitere Kostenlose Bücher