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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Frau, die acht noch daheim lebenden Kinder der Bighorns, kam mit der Last des toten Mädchens Tishunka-wasit-win. Ein junger indianischer Priester begleitete sie.
    Queenie Tashina geleitete die zahlreichen Trauergäste aus dem gelben Haus der King-Ranch herbei. Es waren zwei Männer, eine noch junge Frau, dazu sechs Mädchen und vier Jungen im Alter von Schulentlassenen; das mochten die Handwerkslehrlinge sein. Kein Vertreter der Dayschool, niemand aus der Verwaltung, nicht einmal ein Mitglied des Stammesrates hatte sich eingefunden. In den Augen der Trauernden war es gut so. Mahan nahm das besondere Bild der beiden Männer in sich auf, die mit Joe Inya-he-yukan und Queenie Tashina King auf der anderen Seite des offenen Grabes ihm gegenüber standen, und er fühlte etwas von Gedanken und Willensströmen, die sich von dorther auf ihn lenkten. Der eine dieser Männer schien selbst dem Grabe nicht mehr fern, obgleich er noch nicht alt sein konnte, aber die Krankheit hatte ihn schon gezeichnet. Der andere stand wie ein Stein, der aus der Erde herausragt, tief darin verklammert. Queenie Tashina hielt sich zu Joe Inya-he-yukan. Sie war bleich, und als die Erde in die Grube über Tishunka-wasit-win geworfen wurde, zitterten ihre Lippen.
    Aber niemand weinte. Das Schweigen war eine nicht aufklingende, darum auch nie verstummende Klage der braunhäutigen, schwarzhaarigen Menschen um ihre Kinder.
    Die Grube wurde mit Erde gefüllt und gedeckt, und der indianische Priester sprach den Segen Wakantankas, des Großen Geheimnisses, über Tishunka-wasit-win, die unter dem Zeichen des achtzackigen Sterns gestorben war. Die Gebete sprach der junge Priester Elk in der Stammessprache, aber nun begann er englisch zu sprechen, damit auch die beiden Gäste aus fremden Stämmen ihn verstehen konnten.
    »Mit unserem Gebet für Tishunka-wasit-win, das ›Schöne-Pferd-Mädchen‹, rufen wir nach Gerechtigkeit. Wir klagen um alle unsere Kinder, die durch Kugeln, Hunger, Krankheit, Mißhandlung, Einsamkeit und Knechtschaft gestorben sind und noch immer sterben. Wir klagen um unsere Tochter Tishunka Patricia und um unsere zwei Söhne, die am gleichen Tag gestorben sind. Wir klagen um ein Kind – und ihr wißt es noch nicht, aber ich sage es euch –, um ein Kind, das sich, neun Sommer und Winter alt, in einem Schulgefängnis der weißen Männer selbst töten wollte und nun krank liegt und sterben will. Wir klagen an! Aber die Watschitschun, die uns alle Tode sterben lassen wollten, die ein Volk sterben kann, werden uns dennoch leben sehen. Tishunka-wasit-win ist nicht ausgelöscht, das Feuer brennt weiter wie die Sonne, die des Abends stirbt und des Morgens wieder aufleuchtet.«
    Hugh Mahan nahm die Worte in sich auf und dachte an das Kind, das noch lebte, aber sterben wollte. Er würde den Priester Elk nach diesem Kind fragen.
    Langsam gingen die Angehörigen der leidtragenden Familien und ihre Gäste auseinander.
    Der Abendwind wehte kalt, die Adlerfedern am Stabe bewegten sich; der Himmel begann rot zu werden vom Blut der Sonne. Wakiya Bighorn saß wieder am Häuptlingsgrab und schaute nach der frischen Erde, die Tishunka-wasit-win deckte.
    Joe und Queenie Tashina luden die Eltern und Geschwister der Toten, die Lehrlinge und ihre Meisterin Irene Oiseda in das gelbe Haus zu einer Mahlzeit ein.
    Mahan beobachtete die förmliche Art, in der Joe mit Patrick und Queenie mit Mutter Bighorn sprach; die Nachbarn schienen sonst wenig miteinander zu verkehren. Joe Inya-he-yukan ging auch nur für sehr kurze Zeit mit in das Haus; er kam zurück und rief Mahan und jene beiden Männer zu sich, die Hugh nach ihrem Aussehen für Angehörige anderer Stämme hielt. Hugh erfuhr die Namen: Edgar Monture hieß der eine, und er war ein Mohawk. Der andere, den die Krankheit verzehrte, nannte sich Andy Tiger, vom Stamm der Tscheroki. Sie gehörten mit King zusammen einer indianischen Bruderschaft an.
    Joe holte sich den Scheckhengst aus der Koppel, sattelte und überließ es seinen drei ausgewählten Gästen, sich selbst Pferde zu nehmen. Sie sollten ihn zur Büffelherde begleiten. King war mit dem elektrisch geladenen Stock, mit Lasso und Jagdgewehr, mit einer Pistole im Kniehalfter und dem Patronengurt ausgerüstet und packte Proviant in die Satteltaschen. Mahan hatte Inya-he-yukan noch nie als bewaffneten Hirten gesehen, aber er wurde sich jetzt bewußt, daß er ihn immer so gedacht hatte.
    Mahan selbst wählte einen dunkelbraunen Hengst. Es war lange her, daß

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